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Wen die Erinnerung trügt - Crombie, D: Wen die Erinnerung trügt - Where Memories Lie

Wen die Erinnerung trügt - Crombie, D: Wen die Erinnerung trügt - Where Memories Lie

Titel: Wen die Erinnerung trügt - Crombie, D: Wen die Erinnerung trügt - Where Memories Lie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Crombie
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Opfer eindeutig identifiziert hatte, ehe er weitere Details mit ihr besprach. Aber anstatt Erika Rosenthal in Begleitung einer Schutzpolizistin ins Leichenschauhaus zu schicken, wie er es normalerweise getan hätte, ließ Gavin einen Wagen kommen und brachte sie selbst hin.Wenn ihn jemand nach seinen Gründen gefragt hätte, dann hätte er geantwortet, er hoffe, dadurch mehr zu erfahren, und er wünsche keine weitere Verzögerung bei der Identifizierung des Opfers. Beides vernünftige Erklärungen, beides nicht ganz unwahr.
    Doch der Kern der Sache war, dass sie seinen Beschützerinstinkt geweckt hatte – er wollte sie nicht mit dem Anblick der Leiche auf der Bahre allein lassen. Und dann waren da die Gedanken, die er sich selbst
kaum eingestand – dass er auf der Rückbank des Wagens neben ihr sitzen könnte, dass ihr Arm vielleicht seinen berühren würde, dass es ein warmer Tag war und ihr dunkles Haar im Luftzug flattern würde, der durch das offene Fenster wehte.
    Sie sprach kein Wort, als sie am Themseufer entlangfuhren, und saß nur stumm da, den hellblauen Rock züchtig über die Knie gezogen, die Hände wie zuvor im Schoß verschränkt. Und als sie über die Waterloo Bridge fuhren, blickte sie hinaus auf den Fluss, der im Sonnenlicht glitzerte, wie irgendeine ganz normale junge Frau, die an einem herrlichen Frühlingstag einen Ausflug macht.Wäre da nicht die Anspannung gewesen, die er deutlich spürte – als ob sie sich mit jeder einzelnen Zelle ihres Körpers gewaltsam unter Kontrolle hielte.
    Der Wunsch, seine Hand auf ihre zu legen, wurde so heftig, dass er sich ablenken musste, indem er sich vorbeugte und mit dem Fahrer sprach. Er wollte dem Officer lediglich vorschlagen, wo er auf sie warten könne, während sie im Guy’s Hospital waren, doch sein Ton musste schärfer gewesen sein, als er beabsichtigt hatte, denn sie warf ihm einen erschrockenen Blick zu und wandte sich dann ab.
    Der Fahrer ließ sie am Haupttor aussteigen, und als sie den Hof überquerten und das Gebäude betraten, erlaubte Gavin sich, sie leicht am Ellenbogen zu fassen, um sie durch das Gewirr von Fluren zum Leichenschauhaus zu geleiten. Falls sie seine Berührung überhaupt registrierte, nahm sie sie ohne Protest hin. Und sie machte auch keine Bemerkung zu dem merkwürdig süßlichen Geruch der Verwesung, den die Antiseptika nie ganz überdecken konnten.
    Dann hatten sie das Leichenschauhaus erreicht, und nachdem Gavin sich vergewissert hatte, dass der Leichnam für die Identifikation freigegeben war, führte er sie hinein.
    Dr. Raineys Assistent hatte die Bahre an die Tür herangefahren, und nun schlug er behutsam das Laken zurück, um den Blick auf das Gesicht des Toten freizugeben. Es war seit der Obduktion merklich eingefallen, sodass Stirn,Wangenknochen und Kinn stärker hervortraten, doch Gavin erkannte es sofort wieder und Erika Rosenthal auch.

    Sie schlug die Hand vor den Mund – die erste unwillkürliche Geste, die er an ihr beobachtete. Dann nickte sie ein einziges Mal und ließ die Hand sinken. »Das ist David«, flüsterte sie, und dann sagte sie noch einmal mit lauterer Stimme: »Ja, das ist mein Mann«, als hätte Gavin sie vielleicht nicht gehört. Oder, dachte Gavin, als müsse sie ihren Anspruch auf ihn geltend machen.
    »Möchten Sie... Würden Sie gerne eine Weile …«
    »Nein. Nein. Sagen Sie mir, wie er gestorben ist.«
    »Ihr Mann wurde in Chelsea gefunden, in einem kleinen Park gegenüber dem Embankment. Jemand hat ihn erstochen, Mrs. Rosenthal. Mit mehreren Stichen in die Brust. Er hat nicht versucht, den Angriff abzuwehren. Anschließend hat der Täter offenbar die Taschen ihres Mannes geleert, und auch den Inhalt seiner Aktentasche hat er mitgenommen.«
    Sie wandte sich von der Bahre ab, und er sah, dass ihre Augen trocken waren. »Können wir bitte gehen?«
    »Natürlich.« Er geleitete sie hinaus, und sie ging mit festem Schritt an seiner Seite. Doch als sie den Hof erreichten, blieb sie plötzlich stehen und blickte sich um, als hätte sie die Orientierung verloren.
    »Kommen Sie«, sagte Gavin und führte sie zu einer Bank. »Ruhen Sie sich einfach ein wenig aus.«
    Sie sank neben ihm auf die Bank und schloss die Augen. Nach einer Weile sagte sie: »Ich muss unverzüglich die Beerdigung organisieren. Er darf nämlich nicht einbalsamiert werden und auch nicht eingeäschert. Auch wenn David kein praktizierender Jude war, solche Dinge waren ihm durchaus wichtig. Die Beisetzung muss also so bald wie

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