Wen die Götter lieben: Historischer Roman (German Edition)
fragte einer der Männer.
»Weißt du das nicht?«, antwortete ein grauhaariger Zenturio. »Dieser Stein markierte einst die Grenze des römischen Reiches, als wir noch nicht ängstlich vor den Barbaren davongerannt sind.«
Einige sahen sich düster um. Ob Grenzstein oder nicht, in Wirklichkeit gehörten diese steilen Hänge und alten Wälder niemandem, denn niemand konnte sie gegen einen Feind halten.
In den kleinen grünen Tälern, die kaum mehr als eine Klamm zwischen Bergen waren, entdeckten wir hin und wieder Zeichen von Leben: Hütten und Pferche und Rauch von Kochfeuern. Julian hielt sich von ihnen fern. Wir waren nicht hier, um uns auf Scharmützel mit Bergbauern einzulassen.
Wir stiegen höher hinauf. Die Luft wurde kälter. Da wir keinen Maultierzug bei uns hatten, schliefen wir in unserer Kleidung im Freien, stellten Wachen gegen Wölfe und Bären auf, legten uns auf ein Bett aus Tannennadeln und schoben uns den Tornister unter den Kopf.
Doch unsere Führer verstanden ihr Geschäft. Sie führten uns über waldige Höhenwege, und bald wurden die lichten Kiefern und Eschen wieder von dichterem Wald abgelöst. Die Bäche mündeten in einen breiten, gemächlichen Fluss, der in weiten Kehren durch grünes Weideland floss. Wir folgten seinem Ufer und kamen am zehnten Tag zu einer aus Holz und Stein erbauten Grenzstadt, die dort wegen des Schiffsverkehrs entstanden war.
Unsicher, wie man uns empfangen würde, näherten wir uns vorsichtig, denn nun betraten wir Constantius’ Territorium.
Als wir nahe herangekommen waren, ging das Tor auf; dann erschienen die Stadtväter, machten Gesten des Friedens und hießen uns lächelnd willkommen. Sie eröffneten uns die Neuigkeit, dass die Konsuln in Rom Hals über Kopf geflohen seien, sowie sie von Jovinus’ Marsch über die Alpen gehört hätten.
Julian nickte ernst und dankte ihnen, wobei er versicherte, dass ihre Stadt von ihm nichts zu befürchten habe.
Erst als sie gegangen waren, sagte er schmunzelnd: »Erinnert ihr euch an unseren alten Freund Florentius? Er hat in diesem Jahr das Amt des Konsuls inne. Offenbar liegt es in seinem Wesen, dass er immerzu flüchtet. Ob er auch diesmal wieder vergessen hat, Frau und Kinder mitzunehmen?«
Allgemeines Gelächter.
»Wo wird er jetzt sein?«, fragte ich.
»Bei Constantius, wo sonst? Er hat Italien seinem Schicksal überlassen.« Er zuckte die Achseln und schaute auf das Wasser der oberen Donau, die in der Morgensonne gleißte. »Italien hat nichts von uns zu befürchten, und Florentius weiß das. Es ist seine eigene Haut, um die er sich Sorgen macht.«
Obwohl die Überquerung der Berge anstrengend gewesen war, hielten wir uns nicht auf. In einer Flotte kleiner Boote fuhren wir den Fluss hinunter, der uns rasch voranbrachte. Wir passierten Grenztürme aus Stein und schwarzem Holz mit Dächern aus Stroh. Von den Höhenwegen schauten die Grenzposten neugierig zu uns hinab. Manche winkten sogar, und wir winkten zurück. Trotz dieser freundlichen Gesten vergaßen wir nicht, dass wir uns auf feindlichem Gebiet befanden. Nur nachts gingen wir an Land und schliefen neben den Booten.
Jeden Tag, den wir weiter nach Osten fuhren, wurde der Fluss breiter. Das bewaldete Hügelland wich den illyrischen Ebenen, wo Bohnen und Gerste auf den Feldern standen. Wir kamen schnell voran. Der Wind war uns gewogen. Unsere Ruderer, einschließlich Marcellus und meiner selbst, waren kräftig und unermüdlich. Endlich, nach Tagen auf dem Wasser, zeigte unser Bootsführer auf eine ferne Anhöhe. Es war der Alma, der zwischen der Donau und Sirmium liegt, unserem Ziel.
Bei Sonnenuntergang gingen wir an Land.
Wir setzten unsere Boote aufs morastige Ufer. Dort waren wir am verwundbarsten; doch abgesehen von einem jungen Ziegenhirten, der bei seiner Herde stand und gaffte, nahm uns niemand in Empfang. Inzwischen hatten die schnellen kaiserlichen Kuriere sicherlich die Nachricht zu Lucillian nach Sirmium gebracht, dass unsere Hauptstreitmacht nach Norditalien vorgerückt war. Lucillian war, wie Eutherius gesagt hatte,ein erfahrener Heerführer; er würde Soldaten ausgeschickt haben, um die großen Militärstraßen nach Süden und Westen zu bewachen.
»Doch wenn die Götter mit uns sind«, sagte Julian, »wird er uns nicht von Norden erwarten.«
Dennoch hatten wir keine Zeit zu verlieren, denn lange würden wir nicht unbemerkt bleiben. Julian rief sofort einen Trupp leicht bewaffneter Freiwilliger zusammen, fünfzehn Mann insgesamt, die
Weitere Kostenlose Bücher