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Wen die Götter lieben: Historischer Roman (German Edition)

Wen die Götter lieben: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Wen die Götter lieben: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Waters
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hielt sich aufrecht, bis er in der Menge wutschnaubender Männer verschwand. Ich sah ihn nicht fallen, aber ich sah ringsherum die tretenden Stiefel. Es verbreitete sich durch die Reihen, was passiert war, worauf mehr Männer sich ein Beispiel nahmen und die Untätigkeit ihres Zenturio als Zustimmung werteten.
    Ich sah eine Klinge blinken. Jemand hatte sein Schwert gezogen. Ich wollte hinlaufen, aber Jovinus hielt mich am Arm zurück. »Nein, Drusus. Das darf nicht von uns kommen.«
    Ich sah ihn ungläubig an. Von uns allen war er am engsten mit Nebridius befreundet. Sein Blick war fest auf die Bühne gerichtet. Und da begriff ich. In dem Moment sprang Julian zwei Stufen auf einmal nehmend die Treppe hinunter, drängte sich durch die Schar um Nebridius und stieß die Männer beiseite. Es waren gemeine Soldaten; in der blutrünstigen Stimmung, in der sie sich befanden, waren sie imstande, ihn anzugreifen, ohne hinzusehen, wen sie vor sich hatten.
    Ich rannte sofort los. Jovinus ebenfalls. Doch Nevitta, der am nächsten stand, rührte keinen Finger. Nach wenigen Augenblicken war es vorbei. Die Männer machten große Augen; die Zenturionen kamen zu sich und brüllten sie an, wieder ins Glied zu treten.
    Und in der Mitte stand Julian, die Füße rechts und links neben dem am Boden liegenden Nebridius. Er hatte seinen Mantel zum Zeichen seines Schutzes über ihn geworfen. Die purpurne Wolle war mit Staub und Blut beschmutzt.
    Ich sah mich nach Marcellus um. Dabei streifte mein Blick Nevitta. Ich ertappte ihn in einem Augenblick, wo er sich unbeobachtet glaubte, und seine Miene gab mir zu denken. Im Gegensatz zu uns übrigen wirkte er nicht überrascht und bestürzt, sondern … enttäuscht, wütend, vielleicht sogar schadenfroh; ich konnte es nicht genau ausmachen.
    Dann bemerkte er meinen Blick und setzte eine glatte Miene auf.
    Doch mir blieb keine Zeit, darüber nachzudenken. Julian half dem erschütterten Präfekten auf die Beine. Die Männer ringsumher schauten wie Hunde, die man vor dem tödlichen Biss zurückgezerrt hatte. Sie hätten Nebridius in Stücke gerissen, wäre niemand eingeschritten.
    Wir schickten Nebridius mit einer Eskorte in die Stadt zurück. Nevitta wollte ihn begleiten, doch Marcellus trat dazwischen. »Ich kümmere mich darum«, sagte er. Er musste geahnt haben, dass der Präfekt in Nevittas Begleitung nicht lebend in der Stadt angekommen wäre.
    Anschließend setzte Julian die Zeremonie fort. Später, als ich mit ihm und den anderen Offizieren in den Palast zurückkehrte, wartete Nebridius im Hof auf den Stufen sitzend, den Kopf in die blutigen Hände gestützt.
    »Verräter!«, schrie Nevitta.
    Doch Julian gebot ihm zu schweigen und sagte: »Dir wird nichts geschehen, Nebridius. Steh auf und lass dir vom Arzt die Hände verbinden.«
    In seiner Erschütterung war Nebridius von Julians Freundlichkeit tief bewegt und trat einen Schritt auf ihn zu, um ihm die Hand zu geben. Julian hätte sie gewiss genommen, wären die Umstehenden nicht gewesen.
    »Nein«, sagte er ein wenig verlegen, »ich werde deine Hand nicht nehmen. Was könnte ich sonst meinen Freunden noch geben?«
    Dann ging er nachdenklich an ihm vorbei.
    Wäre Julian vorher gewarnt worden, dass Nebridius den Eid verweigern könnte, hätte er ihn unter einem Vorwand von der Zeremonie ferngehalten und ihn dann ohne Aufsehen ersetzt. Nun ging das nicht mehr. Und in Zeiten wie diesen war es nicht gut, sich öffentlich versöhnlich zu zeigen. Man würde es Julian als Schwäche auslegen.
    Bald darauf marschierten wir in den Krieg.
    Bei Augst am Rhein teilte Julian wie geplant das Heer und sandte eine Hälfte unter dem Befehl von Jovinus über die Alpen; zehntausend Mann unter Nevitta marschierten durch Rätien mit dem Befehl, nach Sirmium zu ziehen. Julian selbst begab sich mit dreitausend leicht Bewaffneten in jene unwegsame, wilde Gegend, die von den Germanen Schwarzwald genannt wird. Alle waren Freiwillige. Marcellus und ich waren ebenfalls dabei.
    Wir stiegen dichte Waldhänge hinauf, zogen an steilen Schluchten und Felswänden entlang. Wir durchquerten Bäche, von denen einige nur knöcheltief waren; andere kamen mit reißender Strömung von den schneebedeckten Gipfeln herab. Zähneklappernd wateten wir durch die kalten Gewässer, während wir Marschgepäck und Schwert über dem Kopf hielten.
    Einmal kamen wir an einem flachen Grenzstein vorbei, der mit heller Flechte überwachsen und in den etwas eingemeißelt war.
    »Was ist das?«,

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