Wen die Götter lieben: Historischer Roman (German Edition)
Marcellus und ich anführen sollten. Unser Auftrag war, am selben Abend noch schnell weiterzumarschieren und im Schutz der Dunkelheit über den Alma nach Sirmium zu gehen.
»Sucht Lucillian und bringt ihn her«, sagte Julian, als er uns seine Befehle gab. »Erweckt den Anschein, dass unser ganzes Heer vor den Toren liegt. Er denkt nämlich, wir sind noch viele Meilen weit weg.«
Beim Schein einer dünnen Mondsichel brachen wir auf, stiegen nach Süden über den Alma, ließen den Gipfel links liegen und folgten den Trampelpfaden durch die Weingärten.
Bis wir in die Ebene hinabstiegen, stand die Venus am Himmel. Unser Führer blieb stehen, streckte den Arm aus und sagte: »Seht.« Voraus hinter den Gerstenfeldern zeichnete sich schwarz die Nordmauer Sirmiums ab.
Wir eilten weiter. Als wir die ersten verstreuten Häuser und Höfe erreichten, die außerhalb der Stadtmauer lagen, graute der Morgen. Auf den Koppeln und in den Gemüsegärten regten sich die Menschen, die ihren morgendlichen Aufgaben nachgingen. Sie blickten auf, beachteten uns aber nicht weiter. Soldaten waren ein gewohnter Anblick für sie. Ungehindert liefen sie weiter über die stillen Wege.
Das Nordtor war bewacht, wie erwartet.
Wir näherten uns in geordneter Formation wie eine heimkehrende Patrouille. Am Tor grüßte Marcellus und erklärte, wir kämen im Auftrag des Augustus persönlich und hätten einedringende Nachricht für Lucillian. Wir warteten, bereit, beim ersten Anzeichen von Misstrauen das Schwert zu ziehen. Doch der Wächter rieb sich lediglich den Schlaf aus den Augen und winkte uns durch. Ihm fiel nicht ein zu fragen, von welchem Augustus die Rede sei.
Auf den Straßen der Stadt war es noch still. Wir kamen an einem öffentlichen Brunnen vorbei, wo ein paar Frauen ihre Krüge füllten. Ein Brotverkäufer mit einem Handkarren starrte uns an. Wir gingen weiter, als gehörten wir hierher, und hielten auf die Stadtmitte zu.
Wir gelangten an einen Torbogen mit Marmorgirlanden. Dahinter betraten wir einen ovalen Platz, der so groß war wie die Rennbahn in Vienne und von Säulenhöfen umgeben war. Der Mann neben mir schaute sich um und fragte: »Was jetzt? Wo sind wir?«
»Das gehört zum Kaiserpalast«, sagte ich. »Hier irgendwo wird Lucillian sein. Tut so, als wüssten wir genau, wohin wir müssen.«
Natürlich wussten wir das nicht. Gerade malten die ersten Sonnenstrahlen rosarote Streifen an den dunkelblauen Himmel. Wir gingen auf die Kolonnade am anderen Ende des Platzes zu, wo wir anhalten und überlegen konnten. Schon traten Männer, die wie Schreiber und Beamte aussahen, aus den Türen der umliegenden Häuser.
In diesem Moment kam ein Sklavenjunge an uns vorbei. Marcellus hielt ihn an der Schulter fest und fragte freundlich: »Wo geht es zu Lucillians Gemächern?«
Der Knabe – er konnte höchstens zehn Jahre alt sein – musterte uns kurz und ließ den Blick über Marcellus’ Uniform und den Schwertgürtel wandern. Dann zeigte er strahlend eine Zahnlücke und schickte uns mit seiner hellen Kinderstimme durch einen weiteren Torbogen.
»Braver Junge«, sagte Marcellus und strich ihm übers Haar. Der Knabe entfernte sich winkend, und wir gingen weiter undgelangten in einen kleineren, marmorgepflasterten Hof. In der Mitte stand ein Brunnen, in dem ein Bronzejüngling einen Krug voll Wasser in das runde Mosaikbecken goss. Dahinter erhob sich ein großes Haus mit drei Stockwerken, einem Säulenvordach und Stufen und Pfeilern mit vergoldetem Akanthusrelief.
Nirgends war jemand zu sehen. Wir schritten rasch die Stufen hinauf und traten durch eine Seitentür der Dienerschaft ein.
Drinnen hielten wir inne. Wir befanden uns in einem langen Gang, wo Statuen auf Onyxsockeln in Marmornischen standen. Zwischen den Säulen hingen hellblaue Seidenvorhänge, die der Wind von den oberen Fenstern sacht hin und her wogen ließ. Wachen waren keine da.
Als wir uns gerade fragten, zu welcher Seite wir uns wenden sollten, erklangen Schritte hinter den Vorhängen. Ich schloss die Hand um den Schwertgriff. Die Vorhänge teilten sich, und ein Palastdiener erschien, der fröhlich summend einen Stapel Wäsche auf den ausgestreckten Armen trug.
Als er uns sah, verharrte er und musterte uns. Rasch sagte ich: »Mir wurde gesagt, dass wir hier Lucillian finden. Ich komme in einer dringenden Angelegenheit.«
Misstrauisch spähte der Diener über den Wäschestapel hinweg und erwiderte: »Lucillian ist noch nicht aufgestanden. Wer seid ihr?«
»Es
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