Wen die Götter lieben: Historischer Roman (German Edition)
sanft seine Tunika zurecht, um seine Blöße zu bedecken. Rufus hatte eine verletzliche, kindliche Unschuld ausgestrahlt – genau das, was barbarische Lust gern schändet, wenn sie von Anstand und Zurückhaltung nicht mehr gehindert wird.
Die anderen hatten nichts von alldem bemerkt. Sie verständigten sich flüsternd, aber ich hörte nur halb hin. Ich hatte ein Klingeln im Ohr, als hätte ich einen Schlag auf den Kopf bekommen. Rufus räusperte sich. »Warte, Drusus«, bat er und sah mich an. »Marcellus … Marcellus war nicht bei den anderen. Sie haben ihn abgesondert. Er ist im Häuptlingshaus.«
Die Wut, die ich bisher mühsam im Zaum gehalten hatte, packte mich mit eisernem Griff. Ich sprang auf wie ein versengtes Tier und wollte losrennen, doch jemand fasste mich hart am Arm und riss mich zurück. Es war Durano.
»Warte! Sei ruhig. Die Krieger schlafen dort. Das ist üblich.«
Ich versuchte, mich loszureißen, doch er hielt mich unerbittlich fest und blickte mir in die Augen. »Denk nach, Drusus! Bedenke, was ich dir beigebracht habe … vor allem jetzt, wo du ihn retten willst.«
»Ob ich lebe oder sterbe, ich werde ihn nicht im Stich lassen.« Ich redete, aber meine Stimme schien mir weit weg zu sein, als wäre sie nicht meine eigene. Dann aber kam ich zur Vernunft, holte tief Luft und sagte: »Ja, ich werde es bedenken.«
Inzwischen hatten die anderen Rufus losgeschnitten. Er stand auf unsicheren Beinen und sah elend aus. »Dort haben sie ihn reingebracht?«, fragte Durano ihn. »Ganz gewiss?«
Rufus überlegte und schüttelte den Kopf. »Vielleicht nicht hinein, aber zu dem Haus. Ich konnte es nicht genau sehen.«
Durano wandte sich mir zu und sah meinen Blick. »Ja, geh und sieh nach, ob du ihn finden kannst. Beeil dich, Drusus, es wird bald hell.«
Ich eilte zwischen den Pferchen davon. Als ich an einem Hühnerstall vorbeikam, krähte ein Hahn laut und empört, und ich hörte die Hennen ängstlich gackernd durcheinanderlaufen. Ich fluchte im Stillen. Hinter dem Stall war ein Haus. Jeder im Inneren musste den Lärm gehört haben.
Die Hühner beruhigten sich, und ich schlich vorsichtig weiter. Hinter mir hörte ich Schritte und schwang herum, aber es war nur Gereon, der zu mir aufschloss. Er nickte mir zu, und gemeinsam rückten wir weiter vor.
Das Häuptlingshaus stand allein auf einem Grasplatz zwischen der Siedlung und dem umliegenden Wald. An der gesamten Vorderseite entlang verlief ein von groben Holzpfosten gestütztes Vordach, ähnlich einer Kolonnade.
Wir schlichen bis an die Ecke, verharrten lauschend. Drinnen war alles still. Ich streckte den Kopf vor.
»Kannst du etwas sehen?«, flüsterte Gereon.
Ich schüttelte den Kopf. Große Weidenkörbe türmten sich neben der Tür und versperrten mir die Sicht. »Warte hier und halte Wache. Ich muss näher heran.«
»Das ist zu gefährlich, Drusus. Ich glaube nicht, dass er dort ist. Wahrscheinlich ist er längst tot. Du hast gehört, was Rufus erzählt hat.«
Ich sah ihm in die Augen.
Er wich meinem Blick nicht aus und zuckte die Achseln. »Also gut. Er könnte drinnen sein. Aber was dann?«
»Ich weiß es nicht. Aber ich muss es tun. So ist es nun malzwischen ihm und mir. Geh zurück zu den anderen, wenn du willst.«
»Nein«, sagte er entschlossen, »ich bleibe hier. Sei vorsichtig.«
Ich bog um die Hausecke und rannte geduckt über die offene Grasfläche, dann an dem Vordach entlang, bis ich freien Blick hatte.
Hinter den aufgestapelten Körben befand sich die breite Tür des Häuptlingshauses, die aus altem schwarzem Eichenholz bestand. Ich schaute mich um. Zuerst konnte ich nur Körbe, Töpfe und anderes Gerümpel ausmachen. Dann bemerkte ich weiter hinten unter dem Vordach an einer dunklen Stelle nahe der Tür eine Gestalt, die zusammengekrümmt an einem der Pfosten lag. Ich schaute angestrengt und dachte an den Hund, den wir hatten bellen hören. Aber da lag kein Hund, sondern ein Mann.
Ich bezwang mein Verlangen, hinzulaufen, und horchte mit angehaltenem Atem. Die Vögel zwitscherten laut, aber sonst war nichts zu hören. Auf Händen und Knien kroch ich an der Tür vorbei und erwartete jeden Moment, dass eine Schar schwertschwingender Krieger über mich herfiel.
Als ich näher kam, erkannte ich die vertraute breite Hand und den braunen Lederriemen am Handgelenk, den Marcellus schon seit seiner Kindheit trug.
Er war mit einem Seil an den Pfosten gefesselt. Wie Rufus war er ins Gesicht geschlagen worden, wenn auch nicht so
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