Wen die schwarze Göttin ruft
mußten gesunde Menschen leben, denn die meisten Zimmer waren leer, die Betten unbenutzt, die Gänge gähnten vor Einsamkeit. Ein paar Pflegerinnen huschten sofort davon und schlossen die Türen, als sie den Fremden kommen sahen. Sie taten so, als sei mit Doktor Stricker eine Seuche ins Haus gekommen.
In einem großen Zimmer, in dessen Mitte ein großer leerer Tisch stand, warteten die anderen Priester-Ärzte. Stumm, feindlich starrten sie den fremden Arzt an. Sie trugen wie Dombono golddurchwirkte lange Gewänder und auf dem Kopf eine Art Hut mit einer Verzierung, die einer sich aufrichtenden Schlange glich: Das Symbol der Klugheit.
»Der OP!« sagte Stricker fast begeistert, aber es war ein krampfhafter Humor. »Und die ganze Mannschaft! Wie bei uns! Wenn der Chef kommt, sieht man vor lauter weißen Kitteln den Patienten nicht mehr.« Er drehte sich zu Dombono um, der hinter ihm stand. »Bis jetzt bin ich beeindruckt. Nur alles ein wenig leer!«
»Das wird sich ändern.« Dombonos tiefe Stimme bekam einen härteren Klang. »Sie werden einer Operation zusehen. Es ist alles vorbereitet. Wir werden Ihnen zeigen, was wir in Urapa können.«
Die Tür im Hintergrund klappte auf. Ein hölzernes Bett auf quietschenden Rädern wurde von einem Krankenpfleger hereingeschoben. Unter einer bestickten Decke mit Sonnenmotiven lag ein Körper – eine junge Frau, die den unbekannten Doktor angstvoll anstarrte. Das hübsche, fast noch kindliche Gesicht hatte eine gelbliche Färbung.
»Wir werden den Beutel in ihrem Körper, der die Säfte fließen läßt und jetzt verstopft ist, herausschneiden«, sagte Dombono dozierend. Stricker spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach und über seine Stirn tropfte.
»Eine Choledochotomie!« stammelte er und sah die flehende Angst in den Augen der jungen Frau. »Dombono, Sie sind ja verrückt! Sie sind komplett verrückt! Das können Sie doch nicht machen!«
»Sehen Sie zu!« Dombono winkte energisch. Das Bett rollte zu dem breiten Tisch. »Urapa ist ein Land der Wunder.«
10
Die Wunder begannen bereits mit der Narkose. Zwei Priesterärzte – es mußten Assistenzärzte sein, denn ihr merkwürdiger Kopfschmuck war nicht mit Goldfäden bestickt, sondern mit Silber – hatten die junge Frau auf den breiten Tisch gehoben und banden ihr jetzt die Handgelenke und die Füße mit Lederschnüren an Ösen fest, die am Tisch angebracht waren. Dann rollte eine kleine Krankenschwester eine Art Instrumentenwagen herein, ein Gefährt aus Elfenbein, auf dem einige Schüsseln aus Gold und blitzende, blankpolierte eiserne Zangen und Messer lagen. Sie starrte den weißen Arzt neugierig und gleichzeitig feindlich an, dann warf sie mit einem Ruck den Kopf zur Seite. Stricker konnte ihren Blick nicht erwidern.
Dombono tauchte seine Hände in eines der Goldbecken und bewegte sie hin und her in einem fast rituellen Rhythmus. Die anderen Ärzte taten es ihm nach, dann ließen sie ihre Hände abtropfen.
Wenigstens das kennen sie, dachte Stricker und zog schaudernd die Schultern hoch. Sie machten ihre Hände keimfrei. Es muß auch bei ihnen einen Semmelweis gegeben haben, der diese Notwendigkeit erkannt hat.
»Was ist das?« fragte er und zeigte auf die große goldene Schüssel.
»Der Saft der Reinheit«, antwortete Dombono stolz. »Es ist eine Wurzel, die im tiefsten Schatten wächst. Wir pressen sie aus.«
»Und Sie wollen wirklich die Galle herausnehmen? Mit diesen Eiseninstrumenten?«
»Was ist die Galle?« Dombono legte die Hand auf die Stelle, wo nun der Schnitt erfolgen sollte. Mein Gott, durchfuhr es Stricker. Er will das ohne Narkose machen! Das ist ja Mord! Man darf so etwas nicht zulassen! Ich habe die Pflicht, jetzt einzugreifen. Dort liegt ein Mensch, ich bin Arzt, ich kann nicht zulassen, daß man ihn vor meinen Augen abschlachtet.
Er trat einen Schritt vor und zog mit einem Ruck Dombonos Hand vom Körper der jungen Frau. Die anderen Ärzte erstarrten. Ein Fremder wagte es, den Oberpriester zu berühren! Sie umringten den fremden Arzt und warteten auf den Befehl, ihn zu töten.
Dombono blickte Stricker aus verhangenen Augen an. Der Zwiespalt, in den er jetzt kam, war ungeheuerlich. Man hatte ihn beleidigt, aber er mußte es ertragen, weil der Befehl der Göttin ihm auferlegte, dem fremden Arzt jede Hilfe zu gewähren. Es ging um Sikinophis, um die geheimnisvolle Krankheit in seinen Knochen. Und es ging um die Ehre der Priester von Urapa.
»Was wollen Sie?« fragte er dumpf.
»Sie schneiden
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