Wen die schwarze Göttin ruft
ärztlicher Erkenntnis jetzt ein Blutschwall hätte einsetzen müssen, da lag der geöffnete Leib sauber, wie in einem Lehrbuch, vor dem deutschen Arzt.
Er begriff es nicht. Er starrte in die Wunde, sah die Gallenblase, sah Dombonos flinke Hand und wie die anderen Priester-Ärzte jedes neue Messer, das sie ihm reichten, zuerst minutenlang zwischen den Handflächen rieben. Er sah, wie Dombono jedesmal wie unter einem elektrischen Schlag zusammenzuckte, wenn er das Messer annahm.
Das ist wirklich Wahnsinn, durchfuhr es Stricker. Der Blitz der Götter; aus den Händen der Priester sprang er über in die eisernen Instrumente. Eine völlig verrückte, unerklärbare Form der Koagulation. Ein elektrisch geladenes Messer, aufgeladen mit der unheimlichen Energie dieser fremden, immer rätselhafter werdenden Menschen!
Dombono arbeitete geschickt. Er exstirpierte nicht die Galle, er spaltete sie nur, holte die Steine heraus, räumte den Ductus choledochus aus, sorgte für einen ungehinderten Abfluß des Gallensaftes und begann endlich, mit einer unbekannten Pflanzenfaser und kleinen, gebogenen Geräten die Schnitte wieder zu vernähen. Die großen Bauchdeckenschnitte verklebte er mit einer gallertartigen Masse, in die er schmale Stoffstreifen tauchte.
Stricker hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Er wußte nicht, wie lange diese unblutige Operation dauerte. Er wußte nur, daß er ein Wunder miterlebte. Unbeweglich, wie gelähmt, stand er neben Dombono, sah jeden Griff, jeden Schnitt, jeden Stich und begriff, daß hier alle chirurgischen Methoden und Lehrmeinungen widerlegt wurden. Es war ungeheuerlich, war mit dem normalen Verstand einfach nicht faßbar.
Dombono gab ein Zeichen. Zwei Ärzte hoben den noch betäubten Körper der jungen Frau vom Tisch und legten ihn auf das einfache Bett. Noch immer atmete sie regelmäßig, mit tiefen, kräftigen Atemzügen. Keine Kreislaufstütze war notwendig, keine Infusion, kein Überführen in eine Wachstation, um die kommenden kritischen postoperativen Tage aufzufangen. Die junge Frau schlief, als habe man nie ihren Körper berührt, den Leib geöffnet, die Galle gespalten.
Stricker drehte sich um. Das Fenster in der Wand war am Erlöschen. Das diffuse Licht, das die Göttin von Urapa umgab, verlosch. Er sah noch, wie der Goldglanz um sie her verblaßte, wie sie untertauchte im Dunkel, wie die Wand wieder massiv wurde – polierte Steine, wie ein Mosaik zusammengefügt.
Dombono tauchte seine Hände wieder in die große Goldschüssel und wusch sie. Die anderen Ärzte verließen stumm den Raum. Zurück blieb nur die operierte junge Frau, ein paar Stoffstreifen über dem flachen Leib. Über ihrem Gesicht lag ein Lächeln. Sie träumte.
»Habe ich Sie überzeugt, Herr Doktor?« sagte Dombono mit seiner dunklen Stimme.
»Ich bin betäubter als diese Frau.«
Stricker wischte sich den Schweiß vom Gesicht. Dombono hielt ihm eine Art Handtuch hin, einen Stoff aus gewebten Pflanzenfasern.
»Wenn ich jemals in die Lage komme, das zu berichten; es glaubt mir keiner. Man wird mich in die nächste psychiatrische Anstalt abtransportieren.«
»Sie werden nicht in diese Lage kommen.« Dombono sagte es ganz ruhig, obwohl es Strickers Todesurteil war. »Glauben Sie nun, daß wir in der Lage sind, auch den Prinzen Sikinophis zu operieren?«
»Ich befürchte … ja.«
»Sie befürchten es?«
»Das Risiko ist größer. Hier liegt eine Frau. Ihr Tod wäre keine Komplikation. Sikinophis' Tod aber durch Ihre Messer ist etwas anderes! Die Königin will eine Garantie.«
»Darum sind Sie hier! Sie kennen die Krankheit, sagen Sie. Gut! Ich schneide, Sie geben die Anweisungen. Wir gewinnen oder verlieren gemeinsam.«
»Ich kann Ihnen nicht helfen, Dombono.« Stricker schüttelte den Kopf. Die junge Frau schien aufzuwachen, sie seufzte leise, und ihre Augenlider flatterten. Wenn sie jetzt würgt, dachte er, wenn sie sich erbricht wie bei einer Äthernarkose, platzt das alles wieder auf. Diese verklebten Wunden können nicht halten, bei allem Götterwunder nicht.
Er sah sich um. Sie waren völlig allein. Kein Arzt mehr, keine Schwester, kein Instrumententisch. Platzte die Wunde auf, hatte man nur seine eigenen Hände. Und mit denen kann man keine Wunde schließen. Oder konnte Dombono auch das?
»Auch wenn Sie mich und meine Freunde töten, weil ich mich weigere«, sagte Stricker heiser, »es läuft doch auf das gleiche hinaus. Sie haben mir gesagt: Jetzt, wo Sie Sikinophis berührt haben, ist sein
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