Wen die schwarze Göttin ruft
nicht!« sagte Stricker hart. »Sie mögen hier eine andere ärztliche Moral haben als wir, aber solange ich hier stehe, werde ich verhindern, daß diese Frau operiert wird! Entfernen Sie mich mit Gewalt, dann muß ich mich der Übermacht beugen. Aber noch stehe ich hier.«
»Und Sie bleiben auch hier, Doktor Stricker. Sie sollen sehen, was wir können!«
»Ich sehe es bereits!« sagte Stricker sarkastisch. »Beenden wir die Demonstration.«
»Sie sind sehr stolz auf Ihre ärztliche Moral, nicht wahr?« Dombono winkte. Der Instrumententisch aus Elfenbein wurde dicht an den OP-Tisch herangeschoben. »Auch wir in Urapa kennen die heilige Verpflichtung des Arztes! Sind bei Ihnen die Ärzte auch Priester? Stehen Sie den Göttern so nahe wie wir?«
»Wir verlassen uns lieber auf unsere in Jahrhunderten gereiften Erkenntnisse anstatt auf die Hilfe eines Gottes.«
»Sie sagen es! Urapa hat einen Berg des Wissens von fünftausend Jahren.«
Dombono griff in eine goldene Schüssel. Er tauchte einen kleinen Becher hinein, schöpfte damit eine bläuliche Flüssigkeit heraus, stützte den Kopf der jungen Frau und gab ihr den Saft zu trinken. Gehorsam schluckte sie ihn, aber ihre großen schwarzen Augen schrien um Hilfe und bettelten bei einem fremden Arzt.
Stricker atmete hastig, sein Herz hämmerte gegen die Rippen. Die Erregung erstickte ihn fast. Er warf einen Blick auf das ›Instrumentarium‹ und schauderte wieder zusammen. »Womit wollen Sie die Adern abklemmen?« fragte er tonlos. »Womit die Blutungen stillen?«
»Mit dem Blitz der Götter.«
»Womit?« Stricker spürte, wie seine Beine weich wurden. Sie wird verbluten, dachte er. Sie wird ganz einfach verbluten. Der Hautschnitt und der Bauchdeckenschnitt mögen noch angehen, aber dann, wenn Dombono sich in die Tiefe arbeitet, wird es ein Abschlachten geben, weiter nichts.
»Sie werden es sehen.«
»Ich werde gar nichts sehen!« rief Stricker erregt. »Führen Sie mich zu Ihrer Königin! Ich verlange, daß dieses makabre Theater abgebrochen wird.«
»Unsere Königin ist immer dabei.« Dombono nickte. Stricker fuhr herum. Im Hintergrund des Operationszimmers war jetzt eine Stelle der scheinbar massiven Wand erleuchtet. Wie hinter einem Fenster saß Sikinika auf einem goldenen Stuhl, das Gesicht wie immer starr und unbeweglich, eingehüllt in einen mit abstrakten Zeichen bestickten Mantel. Ihr Blick kreuzte sich mit Strickers Blick. Es waren Augen, so kalt wie geschliffene Edelsteine.
»Das hier ist Wahnsinn!« schrie Stricker und ballte die Fäuste.
»Die Kranke schläft.« Dombono berührte Stricker an der Schulter. »Überzeugen Sie sich.« Er hielt ihm eine lange eiserne Nadel hin. »Stechen Sie zu, sie rührt sich nicht mehr.« Und als Stricker darauf nicht reagierte, tat er es selbst: Er stach die lange Nadel in den Oberschenkel der jungen Frau und ließ sie im Muskel stecken.
Die Kranke bewegte sich nicht. Der Saft, den sie getrunken hatte, schien sie nicht nur narkotisiert, sondern alle ihre Reflexzonen gelähmt zu haben. Dabei hob und senkte sich ihre kleine Brust, als schlafe sie wirklich nur. Keine Atemdepression, keine Anzeichen einer Herzrhythmusstörung. Niemand kümmerte sich um den Puls, um Blutdruck oder um eine Fixation der Zunge: Der ganze komplizierte Apparat der modernen Narkose war hier hinfällig. Wozu Kontrollen? Der Trank der Götter gab seligen Frieden.
Stricker spürte, wie ihm der Schweiß aus allen Poren brach und über das Gesicht lief. Er blickte einmal auf die Instrumente, dann wieder in die versteinerten Gesichter der Priester-Ärzte. Ihm wurde fast übel vor Erregung.
Dombono nahm mit einer feierlichen Geste ein Messer vom Tisch und hielt es hoch. Dann legte er es zwischen seine Handflächen und begann es zu reiben. Die anderen Ärzte preßten die Hände flach gegen ihre Brust und murmelten Gebete. Fast fünf Minuten rieb Dombono das Messer, dann fuhr es wie ein Schlag durch seinen Körper, er beugte sich über den nackten Frauenleib und machte den ersten Schnitt. Stricker konnte es nicht verhindern … als er eingreifen wollte, war es bereits geschehen.
Haut und Muskelgewebe waren durchschnitten, eine dünne, gelbliche Fettschicht, schnelle Schnitte, so schnell, daß das Auge kaum folgen konnte, öffneten den Leib der Kranken, und es blutete nicht! Kein Tropfen Blut quoll aus der Wunde, die durchtrennten Adern schienen blutleer. Wie beim Präparieren einer Leiche klaffte das Operationsfeld auf, und wo nach jeglicher
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