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Wen die schwarze Göttin ruft

Wen die schwarze Göttin ruft

Titel: Wen die schwarze Göttin ruft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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ein rhythmisches Hämmern. Es war eine Goldschmiede, die im Auftrag der Priester goldene Schalen und Opfergefäße aus gewalzten Goldplatten trieb.
    Plötzlich schien die Stadt den Atem anzuhalten. Ein das ganze Tal erfüllender dumpfer Gongton ließ die Menschen erstarren. Dann fielen andere Gongs ein, von allen Seiten trieb der Schall über die Stadt. Die Leute rannten in ihre Häuser, die Straßen waren plötzlich leer, selbst die Tiere wurden mitgezerrt, und die Hunde folgten mit hängenden Köpfen den Menschen.
    Alarm, dachte Huber und zog die Schultern hoch. Es ist wie bei uns, damals im Krieg. Fliegeralarm, die Sirenen heulen, und alles läuft in die Luftschutzkeller, verkriecht sich, wartet auf die Katastrophe, betet heimlich, daß alles gut vorübergehe.
    Noch immer dröhnten die Gongs. Aus der Kaserne neben dem Palast strömten die Soldaten. Hornisten bliesen auf merkwürdig geformten, dem Schneckenhaus nachgebildeten und aus Bronze gegossenen Trompeten. Es waren Signale.
    In einzelnen Gruppen marschierten sie dann ab, der Bergstraße entgegen, über die er gekommen war. Der Alarm gilt mir, dachte er und duckte sich hinter die niedrige Mauer. Sie haben den Überfallenen und beraubten Soldaten gefunden. Vielleicht auch den Jeep … sicher haben sie ihn inzwischen entdeckt, ich habe ihn ja sichtbar genug hingestellt. Wer hatte vor Tagen auch gedacht, daß hier eine Stadt lebt, an der die Jahrtausende vorübergegangen sind? Wer konnte überhaupt so etwas denken?
    Er wartete, bis die Soldaten abgezogen waren. Nur die Wache am Fuße der Tempelmauer blieb zurück: sechs schwarze Lederschuppen-Menschen, unbeweglich wie aus Lavastein gehauen. Sechs gegen einen – da gab es keine Chance mehr.
    Er blickte über den Rand der Gartenmauer. Man müßte auf die Mauerkrone kommen. Da sind die Treppen an den Tempelseiten, Stufen, die in den Himmel führen. Treppen von einem Ausmaß, daß einem schwindelt, wenn man nur hinaufblickt. Wieviel Stufen mögen es bis zur Mitte der Pyramide sein, dort, wo die Mauer aufhört und der zweite Heilige Bereich beginnt, den nur die Priester betreten dürfen? Dreihundert Stufen? Vierhundert? Man kann es nicht schätzen. Und wenn es nur zweihundert sind, wie kann man über zweihundert Stufen klettern, ohne gesehen zu werden?
    Die Gongs schwiegen. Von ferne schwebte nur noch der Klang der bronzenen Muschelhörner herüber. Sonst war es geisterhaft still in der Stadt. Ein Tal mit toten Häusern, einsamen Straßen, leeren Gärten und verlassenen hölzernen Wagen.
    Die Treppe! Alex Huber starrte wieder hinauf zu Veronika. Die Treppe. Nur über sie führt der Weg zu ihr. Ich werde sie aus ihrem Käfig nicht herausholen können, aber sie soll wissen, daß ich hier bin. Ein schwacher Trost, der ihr einen Funken Hoffnung gibt. Und bei der Hoffnung wird es bleiben, denn hier kann man nichts mehr tun. Selbst wenn man ein Funkgerät hätte und General Bikene verständigen könnte, selbst wenn die Truppen von Uganda diese Stadt stürmen würden; zuerst würde man die Gefangenen töten, und keiner könnte es verhindern.
    Er saß geduckt hinter der niedrigen Gartenmauer und beobachtete die Wachen. Sie standen wie Klötze, unbeweglich, ohne den Kopf zu drehen, den Blick stur geradeaus. Das ist meine Chance, dachte er. Wenn ich von der Seite komme, sehen sie mich nicht, und das Verkriechen der Menschen in ihre Häuser ist mein zweiter Verbündeter. Die Stadt ist leer – es gibt keine Augen mehr, die diese unendliche Treppe anstarren könnten.
    Langsam, im Schutze der Gartenmauer, kroch er weiter. Er kroch an den Hauswänden entlang, bis er dem Blickfeld der Wachen entzogen war. Dann richtete er sich auf und sprang von Haustür zu Haustür, bis er der riesigen Treppe gegenüberstand. Nur etwas galt es noch zu überwinden: den großen verlassenen Platz zwischen den Häusern und dem heiligen Bezirk.
    Nur einen Platz, etwa vierzig Meter breit. Vierzig lächerliche Meter – aber vierzig Meter ohne Deckung, vierzig gefährliche Schritte ins Leere, dreißig Sprünge ins Ungewisse. Dann war man am Fuß der Treppe, und dies bedeutete zweihundert Stufen in einen schweigenden Himmel hinein.
    Unmöglich, dachte er. Sein Herz hämmerte wie rasend, in seinen Schläfen rauschte das Blut. Ich bin in keiner ausgestorbenen Stadt. Tausende lauern hinter den Fenstern, und ich werde keine zehn Schritte über den freien Platz kommen.
    Er zögerte immer noch, blickte sich um und spürte, wie die Nerven unter seiner Hirnschale

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