Wen die Sehnsucht besiegt
das Geld fast verbraucht war. Dann fuhr der Maidenhall-Wagen vor, um Frances abzuholen. Sie hatte keinen einzigen Blick zurückgeworfen. Nun bot ihr diese Reise eine Gelegenheit, ihrer Kusine, dem knauserigen Onkel, ihrer Abhängigkeit von dessen Reichtum und dem gräßlichen Tode zu entrinnen.
Sobald sich ein Mann in sie verliebte, würde sie ihn heiraten. Er mußte weder steinreich noch so hübsch sein, daß er alle Mädchen erröten ließ. Nein, ein Mann wie der Bankier, den ihre Mutter abgewiesen hatte, würde ihr vollauf genügen.
Aber wie sollte sie einen Heiratskandidaten kennenlernen, wenn sie James Montgomerys Frau mimen mußte? Leider war sie nicht so kühn wie Axia, und so wagte sie es nicht, vor den Adleraugen des Earls zu fliehen. Also beschloß sie, sich in ihrer unmittelbaren Nähe umzuschauen. Da waren die beiden Gefolgsmänner, die offensichtlich nicht mehr besaßen als sie selbst.
Und der Earl? Der hatte nur Augen für Axia. Zum Teufel mit ihr, dachte Frances. Axia wußte gar nicht, wie die Männer sie anschauten, und glaubte, sie würden sich nur für sie interessieren, weil sie die Maidenhall-Erbin war. In Wirklichkeit glich sie durch ihr lebhaftes Wesen aus, was ihr an klassischer Schönheit fehlte. Da sie völlig isoliert aufgewachsen war, ahnte sie nichts von gesellschaftlichen Regeln, von der Ehrfurcht, die man Aristokraten entgegenbrachte.
Vor zwei Jahren war ein gebrechlicher alter Herzog auf Maidenhalls Landsitz aufgetaucht und hatte erklärt, er sei es müde, immer nur von dieser Erbin zu hören. Nun wolle er sie mit eigenen Augen sehen. Axia beauftragte ihn, ein paar schnatternde Gänse zu rupfen, und später schenkte sie ihm eine Zeichnung von dieser Szene. Beim Abschied beteuerte er, noch nie in seinem Leben habe er einen so vergnüglichen Nachmittag genossen. Ein Jahr später war er gestorben, und Axia hatte bitterlich geweint.
Und so fand Frances es keineswegs erstaunlich, daß James Montgomery ihre Kusine so fasziniert beobachtete. Was sie verblüffte, war Axias sonderbares Verhalten in Gegenwart des Earls und Todes Wachsamkeit. Niemals ließ er die beiden aus den Augen. Da bahnte sich irgend etwas an, und Frances mußte unbedingt herausfinden, was.
Liebe, dachte sie angewidert. Das Schlüsselwort. Was zwischen Axia und dem Earl entstand, war zweifellos Liebe, ein albernes, überflüssiges Gefühl, von dem alle Leute faselten und das niemand brauchte. Liebe hatte ihre Mutter ins Unglück getrieben.
Und Liebe wird auch Axia zum Verhängnis werden, wenn sie nicht aufpaßt, überlegte Frances. Was würde geschehen, wenn sie gegen den Willen ihres Vaters einen verarmten Earl heiratet? Zweifellos würde Perkin Maidenhall seine Tochter enterben. Dann würde der Earl sie verlassen. Was soll dann aus Axia werden? Sie ist zwar hübsch, aber um ohne Mitgift eine gute Partie zu machen, muß man bildschön sein. Keiner würde sie nehmen, wenn sie arm wäre. Vielleicht sollte ich sie retten - vor sich selbst. Wenn ich ihr James Montgomery wegnehme, wird sie ihren Vater nicht erzürnen und weiterhin seine Erbin bleiben. Und wenn ich den Earl heirate, heiße ich Lady Frances… Versonnen blickte sie ins Leere. Oh, wie ihre Schwestern sie beneiden würden…
Andererseits war James Montgomery arm, trotz seines Adels. Weil er Geld brauchte, hatte er den Auftrag übernommen, die Maidenhall-Erbin zu eskortieren. Aber seine reichen Verwandten würden ihn sicher unterstützen. Immerhin hatten sie seiner Bitte sofort entsprochen und ihm bewaffnete Wachtposten geschickt, die jetzt das Maidenhall-Gold hüteten.
Also war James Montgomery reich, wenn Frances ihn mit ihren sonstigen Möglichkeiten verglich. Außerdem würde sie in absehbarer Zeit keinen anderen Mann kennenlernen. Ein Pech, daß er so phantastisch aussah! Wie sie aus Erfahrung wußte, konnte man häßliche Männer viel leichter umgarnen. Mit schmalen Augen beobachtete sie Axia und nahm sich vor, ihr Ziel entschlossen anzusteuern. Noch vor dem Ende dieser Reise wollte sie James Montgomery heiraten. Um welchen Preis auch immer. Und eines Tages würde ihr die Kusine dafür danken.
Axia begann den Inhalt eines dieser gräßlichen unbequemen Wagen neu zu ordnen. Wenn die Königin von England in luxuriösem Stil reisen kann, warum nicht auch die Maidenhall-Erbin, fragte sich Frances. Weil Perkin Maidenhall zu geizig war, um genug Wachtposten für sein einziges Kind zu engagieren. Und so mußte das Mädchen diese Fahrt wie eine anonyme
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