Wen die Sehnsucht besiegt
Ihr Gesicht preßte sich an seinen Hals, und ihre Tränen benetzten seine Haut, aber sie versiegten sehr schnell. »Tut mir leid«, wisperte sie. »Normalerweise bin ich nicht so nah am Wasser gebaut. Niemand bringt mich zum Weinen. «
»Niemand außer mir. Diese Wirkung übe ich auf alle Frauen aus. «
»Lügner! « schnüffelte sie. »Sicher habt Ihr noch keiner Frau Tränen entlockt. «
Auf diese Bemerkung gab er keine Antwort. Eins stand jedenfalls fest: Noch nie hatte er es so sehr genossen, eine Frau in den Armen zu halten, obwohl sie nur wie ein formloser Klumpen in einer stinkenden Pferdedecke wirkte. »Erzählt mir von Tode. Was ist mit ihm geschehen? «
Zum erstenmal, seit der Regen alle Lagerfeuer gelöscht hatte, fühlte sie sich erwärmt. Frances hatte Jamie angefleht, in einem Gasthaus Rast zu machen. Aber das erschien ihm zu »gefährlich«. Da niemand wußte, wer sie waren - welches Unheil sollte ihnen drohen? Wie auch immer, der Gedanke an Gefahren hatte Axia an etwas erinnert, woran sie denken müßte, irgend etwas Wichtiges.
Aber es fiel ihr nicht ein, obwohl sie sich immer wieder den Kopf zerbrach.
In Jamies Armen war sie sicher und geborgen. Ihre Stirn berührte seinen Hals, und als sie etwas Kratziges spürte, zog sie einen getrockneten Schlammklumpen hinter seinem Ohr hervor. Unglücklicherweise riß sie ihm dabei auch ein Haar aus.
»Autsch! « protestierte er und starrte sie anklagend an. Jetzt tut Ihr mir schon wieder weh, sagte sein Blick. Lächelnd ließ sie den Kopf an seine Schulter sinken. »Wußtet Ihr, daß Schlamm gut für die Haut ist? Ich habe damit experimentiert und ihn mit Grünzeug aus unserem Teich vermischt… «
»Schlamm und Schleim? «
»Mhm. Sehr feiner Schlamm, sehr feiner Schleim. Wenn diese Mixtur auf der Haut trocknet, entwickelt sie ihre Heilkraft. «
Das klang sehr wissenschaftlich, und Jamie versuchte den gleichen Ton anzuschlagen. »Ja, Frances besitzt eine sehr schöne Haut. «
»Ha! Frances ist ein Feigling. Niemals erlaubt sie mir, irgend etwas an ihr auszuprobieren. Aber Tode… « Besorgt schaute sie zu dem schlafenden Mann hinüber.
»Erzählt mir von ihm«, bat Jamie noch einmal und spürte Axias Widerstreben.
Sie versuchte, von seinem Schoß aufzustehen. »Oh, Ihr müßt frieren! Ich hole noch eine Decke aus dem Stall. Oder Ihr solltet ins Haus zurückkehren. Sicher seid Ihr hungrig, und Euer Freund wird Euch schon suchen. « Da ihre Arme von der Decke umhüllt wurden, konnte sie sich kaum bewegen, aber Jamie hielt sie ohnehin fest. »Ausnahmsweise werdet Ihr Euren Willen nicht durchsetzen. Nachdem Ihr beschlossen habt, die Nacht bei Tode zu verbringen, bleibe ich auch hier. Versteht Ihr? Diesmal bin ich der Sieger. «
»Gewinnt Ihr denn nicht immer? Alles muß nach Eurem Kopf gehen. « »Tatsächlich? Ihr hättet uns nicht auf dieser Reise begleiten müssen, und ich befahl Euch keineswegs, diesen Wagen so gräßlich zu bemalen. Ich… «
»Ihr wolltet die Maidenhall-Erbin heiraten. «
»Wollte ich das? Dieses Wort entspricht nicht ganz der Wahrheit. Da ich meine Familie unterstützen muß, kann ich nicht heiraten, wen ich will. Vielleicht wißt Ihr’s nicht, aber Männer in meiner Position müssen gewisse Rücksichten nehmen. Wäre es anders, könnten wir hübsche Dienstmägde heiraten. «
»Oder pockennarbige Mädchen? «
»Ja«, bestätigte er in einem Tonfall, der Axia klarmachte, daß er dieses Thema nicht erörtern mochte. »Erzählt mir endlich von Tode. Die ganze Nacht liegt noch vor uns. Also könnt Ihr Euch ruhig Zeit nehmen. «
Sie holte tief Atem. »Das alles hat ihm sein Vater angetan. « Schon seit einiger Zeit hegte Jamie den Verdacht, daß Todes Zustand nicht von einem Unfall herrührte. »Um einen Bettler aus ihm zu machen? « Von dieser Praxis hatte er bereits gehört. Manche Leute wurden zu Krüppeln geschlagen, damit sie Mitleid erregen und Almosen einheimsen konnten.
»Nein, er wollte den Jungen zur Schau stellen, in einem Wagen durch ganz England befördern und Eintrittsgeld verlangen. «
»Statt dessen wurde er zur Erbin gebracht. «
Zu mir, wollte Axia entgegnen, doch sie sprach es nicht aus. Wenn Jamie wüßte, daß sie die Erbin war - würde er ihr einen Heiratsantrag machen? »Ja«, sagte sie leise. »Perkin Maidenhall kaufte Tode seinem Vater ab und schickte ihn zur-Erbin. «
»Zusammen mit Euch? «
Axia nickte. »Offenbar hat er eine Schwäche für Außenseiter und Kuriositäten. «
»Ihr seid keine
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