Wen die Sehnsucht besiegt
mochte sich nicht von Jamie trennen. Erst hatte sie sich von Tode verabschieden müssen, nun würde auch Jamie sie verlassen. Obwohl sie ihn noch nicht lange kannte, kam es ihr so vor, als würde er ihr Leben schon seit einer Ewigkeit teilen.
»Iß! « befahl er.
Sie wollte antworten, aber da mischte sich ein Mann ein, der mit einem anderen Gast am Nebentisch gesessen hatte und nun herüberkam. »Ihr seid es wirklich! « rief er und musterte Jamie. »Das dachte ich schon gestern abend, aber ich war mir nicht sicher. «
»Und für wen haltet Ihr mich, wenn ich fragen darf? « Jamie nippte an seinem Ale.
»Ihr seid der Mann, der auf diesem Wagen abgebildet ist. Der Drachentöter. «
Beinahe verschluckte sich Jamie. »Ihr habt den Wagen gesehen? « würgte er hervor. »Wann? Wo? «
»Er fuhr nach Süden. «
»Unmöglich! Man teilte mir mit… « Wie ihm ein kurzer Blick in Axias Gesicht verriet, dachte sie dasselbe wie er. Lauter Lügen. Das Haus seines Onkels lag im Westen. Aber wenn der Wagen südwärts fuhr, entfernten sie sich immer weiter von Frances. »Könnt Ihr den Fahrer beschreiben? «
»Klar. Ein großer Mann. Und eine bildhübsche Frau saß neben ihm. Darüber lachten wir - ich und mein Freund. « Ein kurzer Blick streifte den Gast am Nebentisch. »Wir fanden ihn nämlich eher unscheinbar, und wir dachten, auf diesen Gemälden wäre er mit Absicht verschönert worden. Was für großartige Bilder! Die Lady erzählte uns, das sei ihr Werk… «
»Nein, ich habe das alles gemalt! « rief Axia und erhob sich empört. »Niemals könnte Frances… «
Jamies schwere Hand umfaßte ihre Schulter und drückte sie auf die Bank zurück.
»Habt Ihr den Wagen wirklich bemalt? « Der Mann starrte Axia neugierig an, und Jamie holte tief Luft.
»Wenn ihr uns alles sagt, was Ihr wißt, wird sie Euch und Euren Freund porträtieren. Als Ritter in voller Rüstung. « »Wir sahen den Wagen vor zwei Tagen. Jetzt muß er längst über alle Berge sein. «
»Und die Frau? War sie unverletzt? Fühlte sie sich gut? « »Gut genug, um zu lügen«, murmelte Axia.
»Ja, sie wirkte recht fröhlich. Die beiden übernachteten in einem Gasthaus, und der Mann bediente sie, als wäre sie die Königin von England. «
»Jetzt weiß ich, daß es Frances ist«, warf Axia ein.
Jamie stieß sie unter dem Tisch an, um ihr zu bedeuten, sie solle den Mund halten. »Was war das für ein Mann? Wie sah er aus? «
»Braunes Haar, braune Augen, und wie ich schon sagte, ziemlich unscheinbar. Vermutlich würde ich ihn nicht wiedererkennen. «
Enttäuscht sank Jamie in sich zusammen. Nun wußte er nicht viel mehr als zuvor.
»Hast du sein Ohr vergessen? « fragte der Freund, der sich nun ebenfalls hinzugesellte.
»Ach ja, er hat nur ein halbes Ohr«, erklärte der andere. Eine Zeitlang saß Jamie reglos da, dann warf er lachend den Kopf in den Nacken. Alle Gäste starrten ihn verblüfft an. »Henry Oliver! « prustete er, als er sich einigermaßen beruhigt hatte. Dann dankte er den beiden Männern für die wertvollen Informationen. Sie kehrten an ihren Tisch zurück, und er befaßte sich wieder mit seinem Frühstück.
Es dauerte eine Weile, bis Axia merkte, daß er nicht beabsichtigte, seine Erkenntnisse mit ihr zu teilen. »Willst du mir nicht verraten, was das alles soll? « fauchte sie ungeduldig. Grinsend wandte er sich zu ihr. Offenbar wollte er sie noch eine Weile auf die Folter spannen.
»Sprich doch endlich! « zischte sie.
»Henry Oliver ist völlig harmlos, und Frances könnte sich nicht in besseren Händen befinden. Er wird gut für sie sorgen. «
»Aber er hat sie entführt, und er wird Lösegeld verlangen -von… « Rasch blickte sie sich um und senkte die Stimme. »Vom Vater der Maidenhall-Erbin. «
»Für Geld interessiert er sich nicht. Er hat’s aus Liebe getan. «
»Er liebt Frances? « fragte sie ungläubig.
»Nein, meine Schwester Berengaria. Seid wir alle Kinder waren, bemüht er sich um ihre Hand. «
»Und du verweigerst ihm deine Einwilligung? «
»Weil er schrecklich dumm ist. «
»Dann müßte er Frances lieben. Zwei verwandte Seelen… « »Nein, nein, du verstehst das nicht. Oliver ist wirklich dumm. Alles, was man ihm einredet, glaubt er. Zum Beispiel, daß man in afrikanischen Höhlen kostbare Schätze finden kann. Wenn wir als Kinder Verstecken spielten, schloß er einfach die Augen, weil er dachte, wenn er nichts sieht, würde man ihn auch nicht sehen. «
»Diese Phase müßte er doch überwunden
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