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Wen küss ich und wenn ja, wie viele? - Lilias Tagebuch

Wen küss ich und wenn ja, wie viele? - Lilias Tagebuch

Titel: Wen küss ich und wenn ja, wie viele? - Lilias Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mara Andeck
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mal wieder jemanden zum Balzen benötigst – Tom ist für dich da. Ein Anruf genügt.«
    »Tom, übertreib’s nicht. Wir sind hier nicht im Kitschroman«, schimpfte ich.
    »Sind wir nicht?«, fragte er und ließ meine Hände sinken, ohnesie loszulassen. Er hielt sie einfach weiter fest und sah mir in die Augen.
    Dann lächelte er. Aber nicht so wie der Tom, der immer mal wieder Radiergummis verspeist. Irgendwie anders. Da war so ein fremdes Funkeln, doch bevor ich ergründen konnte, was das bedeutete, blickte er über meine Schulter auf etwas hinter mir. Sein Blick veränderte sich und er ließ meine Hände los.
    Ich drehte mich um.
    Schluck.
    In die morgenmüde Menschenmasse auf dem Schulhof war Bewegung gekommen. Zumindest in die Männchen. Von allen Seiten strömten sie auf uns zu, es war, als hätte man einen Klecks Marmelade in die Nähe eines Ameisenhaufens getropft.
    Hammer!

    Ich atmete tief ein und wappnete mich. Die Situation war neu, aber nicht unangenehm. Ich knipste mein Lächeln an wie eine Taschenlampe im Dunkeln.
    Als der erste Knabe achtlos an mir vorüberging, war ich irritiert. Als Nummer zehn (Jakob) gleichgültig grüßend an mir vorbeischlenderte, knipste ich das Lächeln wieder aus. Es war so überflüssig wie eine Taschenlampe im Neonlicht. Mich nahm sowieso niemand wahr.
    Alle Jungs standen ehrfürchtig – vor der schwarz-grellen Heuschreckenmaschine. Einer strich ihr sanft über den Lack. Ein zweiter fragte, ob er mal den Sound hören dürfe. Wieder ein anderer murmelte etwas von einem Naked Bike oder so ähnlich. Ich hätte ebenfalls nackt sein können, keiner hätte es bemerkt.
    Tom muss wohl noch ein bisschen an seiner Balztechnik feilen, dachte ich, doch dann sah ich Vicky. Sie stand am Rand desPausenhofs, blähte die Nüstern und witterte. Ihre volle Aufmerksamkeit galt – Tom.
    Dann fiel ihr Blick auf mich. Ihre Augen verengten sich, sie warf ihre Haare zurück und schnaubte. Wirbelte sie wirklich mit einem ihrer Hufe den Sand des Pausenhofs auf und wieherte, oder war es meine überreizte Fantasie, die mir dieses Bild vorgaukelte? Aber egal was sie tat, es war eindeutig eine Kampfansage. Und wenn das Alphaweibchen unserer Klasse mich Herdenvieh als Bedrohung ansah, war ich in der Nahrungskette eindeutig ein paar Stufen nach oben gerutscht. Balz!!! Tom hat da wohl wirklich was in den Genen.
    8.30 Uhr, immer noch Reli. Surviving of the Fittest? An Darwins Grundregel, dass von jeder Art die fittesten Exemplare überleben, kann man nicht mehr unbefangen glauben, wenn man unseren Reli-Lehrer kennt. Rein biologisch betrachtet muss man Herrn Schütz als Laune der Natur bezeichnen. Er hat Froschaugen, Hasenzähne und den Gang eines Schabrackentapirs, außerdem ist er kurzatmig wie ein Mops. In freier Wildbahn wäre er längst gefressen worden. Im Biotop Schule allerdings hat Herr Schütz eine Nische gefunden, in der er gut gedeiht, was seine rosigen Wangen beweisen.
    8.35 Uhr Habe noch mal drüber nachgedacht. Vielleicht sollte ich Darwins Thesen nicht vorschnell bezweifeln. Ich kenne ja gar nicht viele Reli-Lehrer. Wer weiß, vielleicht ist Herr Schütz ein ganz prächtiges Exemplar seiner Gattung.
    8.45 Uhr Herr Schütz zeigt uns gerade ein Bild. Darauf siehtman ganz viel hellblauen Himmel mit ein paar Wolken im Hintergrund. Im Vordergrund sind zwei Köpfe abgebildet, der eines Wolfes und der eines Schafs. Beide stehen sich Nase an Nase gegenüber und sehen sich an.
    Wenn man in Reli ein Bild anstarren muss, kommt danach zwangsläufig die Frage: Was fällt euch dazu ein? Diese Frage ist für jeden seelisch gesunden Heranwachsenden eine Provokation. Natürlich sieht man auf den ersten Blick, was einem dazu einfallen soll . Aber man fühlt sich sofort wie ein Zirkuspudel, dem der Dompteur einen Reifen hinhält. Und wenn er dann »hopp!« ruft, weiß man plötzlich, dass ein Sprung durch diesen Reifen das Letzte ist, was man tun will. Als Pudel bleibt man in solchen Situationen auf seinem Glitzerpodest sitzen und knurrt. Als Schüler verfällt man entweder in demonstratives Schweigen und hofft, den Lehrer dadurch von künftigen Was-fällt-euch-zu-diesem-Bild-ein-Fragen abhalten zu können (was niemals gelingt). Oder man sagt etwas Doofes, einfach, weil es rausmuss. Ich entscheide mich heute für Variante eins, beuge mich über mein Tagebuch und tue so, als würde ich mir Notizen machen.
    8.50 Uhr Huch! Tom meldet sich. Er hat so ein Glitzern in den Augen, ich wette, das wird Variante

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