Wen küss ich und wenn ja, wie viele? - Lilias Tagebuch
Betrug?«, protestierte ich.
»Wieso?«, fragte Dana. »Wir haben gesagt: Wenn du verlierst,bekommst du Strähnchen wie Maiken. Und die hat genau solche drin. Du kannst die jetzt einfach ein paar Tage lang tragen und sie wieder rausmachen, wenn du sie nicht mehr magst.«
Ich drehte meinen Kopf nach links und nach rechts. Rausmachen? Von wegen. Das sah richtig gut aus! Und Jakob würde jetzt jedes Mal an die Küsse am Fluss denken, wenn er mich sah, ob er wollte oder nicht. Passte mir prima ins Konzept.
»Noch eine!«, befahl Dana.
»Nein«, sagte ich mit fester Stimme und zeigte auf mein Bio-Heft. »Eine reicht. Ich hab bei dir was gut!«
»Oh. Hier ist das gelandet? Peinlich …« Sie grinste verlegen und gab nach.
Dana war jetzt im Lila-Lilia-Rausch. Sie lackierte mir die Finger- und Zehennägel violett, hängte mir violette Klunker an die Ohren, durchstöberten ihren Schrank und fand ein Top, das in der Farbe genau dazu passte. Als sie aber auch noch Wimperntusche und Lidschatten in Violett ins Gespräch brachte, bremste ich sie. »Ey, ich bin nicht Barbie! Jetzt reicht’s.«
»Nur noch die Flipflops«, quengelte Dana und hielt mir lila Glitzerschlappen vor die Nase.
»Nee. Bis jetzt ist es raffiniert. Noch ein bisschen mehr und es ist peinlich. Außerdem sind deine Schlappen so groß, in denen kann ich Wasser-Ski fahren.«
Dana kniff ein Auge zu und betrachtete mich, als wäre ich ihr Kunstwerk. »Hast recht«, befand sie. »Jetzt reicht es. Manchmal ist weniger mehr. Du warte mal eben, mein Handy klingelt.« Und weg war sie. Schon wieder! Mir reicht’s jetzt. Ich glaub, ich geh so langsam nach Hause.
16.20 Uhr Von wegen. Musste eben mit Dana Bananenmuffins backen, sie hat mich förmlich angefleht. Und jetzt deckt sie den Tisch und will mit mir und ihrer Tante Muffins essen. Was für ein erlesenes Vergnügen. Das Esszimmer mit den Samtstühlen und den Häkeldeckchen ist so muffig, da passt es, dass die Tante das englische Wort immer mit u ausspricht. Muffelmuffins. Und mein Magen befindet sich immer noch in der Gewalt eines rebellischen Döners.
17.00 Uhr Boah, Dana foltert mich!
»Dana erzählte, dass Sie gerade an einem Biologie-Referat arbeiten, Lilia«, sagte ihre Tante beim Kaffee zu mir. Man hörte jeden einzelnen Buchstaben, den sie sagte. Wirklich jeden. Ich finde das nicht normal.
Nur mal angenommen, ich rempele in einer Menschenmenge jemanden an. Dann sage ich so etwas wie: »Schulligung«. Danas Tante würde natürlich nie jemanden anrempeln, aber wenn mal jemand aus Versehen gegen sie prallen sollte, würde sie sagen: »Entschuldigen Sie bitte.« Nicht laut und theatralisch, sondern ganz leise, aber trotzdem würde man selbst die I-Punkte in diesem Satz hören, und zwar bis in die letzte Ecke des Raumes. Wie sie das macht? Ich glaube, das muss man sein Leben lang üben. Dana hat mir mal erzählt, dass die Lieblingswörter ihrer Tante alle mit D beginnen: Disziplin, Demut, Durchhaltevermögen, Distanz. Ich glaube, wenn man diese Wörter zu seiner Persönlichkeit macht, spricht man irgendwann so.
Ich schluckte meinen Kuchen, bevor ich antwortete, denn man spricht ja nicht mit vollem Mund. Währenddessen rang ichnach den richtigen Worten. »Ja, es geht um … Verhaltensforschung.«
»Um Sex geht es«, sagte Dana. »Um Sex bei Tieren.«
Danke, Dana.
»Nein«, sagte ich, als ich meine Fassung wiedererlangt hatte. »Dana, das ist nicht ganz korrekt. Es geht um Fortpflanzung. Im weitesten Sinne. Also auch um Bienen und Blumen. Und um ungeschlechtliche Fortpflanzung. Bei Bakterien. Äh. Und um Partnerwahl, Balz, solche Sachen halt.«
Dana kicherte, als sie sah, wie ich litt. »Warum heißt das eigentlich Fortpflanzung? Und nicht Fortmenschung? Oder Forttierung?«
»Liebes Kind, das mag dir komisch vorkommen, denn du bist in einem schwierigen Alter«, sagte Tante Henriette und sah ihre Großnichte tadelnd an. »Der Natur jedoch ist nichts unangenehm, lächerlich oder gar peinlich. Deswegen muss man in der Biologie das eigene Schamgefühl von der wissenschaftlichen Betrachtung trennen. Deine Freundin weiß das.« Sie nickte mir wohlwollend zu. Ich hätte gern tief durchgeatmet, aber ich hatte eine Knoblauchfahne, also hielt ich weiter die Luft an.
Betr.: Schmetterlinge im Bauch
Datum: 27.05., 18:33 Uhr
Von: Tom Barker
An: Felix von Winning
Hallo, altes Hinkebein,
bin gerade im Überraschungspartyvorbereitungsstress, deswegen nur kurz ein
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