Wen küss ich und wenn ja, wie viele? - Lilias Tagebuch
Problem. Auf die Idee, dass ich mal ein offenes Mutterohr brauchen könnte oder ein paar seelische Streicheleinheiten, kommt hier ja sowieso keiner.
10.00 Uhr Tom? Oder Jakob? Oder doch Tom? Oder keiner? Ist das überhaupt die Frage nach dem Richtigen? Oder die nach Traktor oder Gummistiefel?
10.05 Uhr Wieso eigentlich überhaupt Tom?
Der steht doch gar nicht zur Debatte. Wir sind Freunde.
10.06 Uhr Oder?
10.10 Uhr Ich bin übermüdet, das ist es. Und dann die Sache gestern am Teich. Wieso tauchte Tom da überhaupt auf? Niemand wusste, wo ich war, denn ich war da, wo niemand war. Wenn sein Hund mich nicht aufgestöbert hätte, wäre Tom an mir vorbeigegangen, ohne mich zu sehen. Das Schicksal hat schon eine seltsame Auffassung von Humor.
10.12 Uhr Ich hätte ihn vielleicht nicht auffordern sollen, sich neben mich zu setzen. Wollte mich aber doch bedanken, für die Party und alles.
10.14 Uhr Vielleicht lag’s am Frühlingsduft von Moos in der Luft?
10.15 Uhr Tom hat es aber auch darauf angelegt, mich zu küssen, finde ich!
»Und, hast du es herausgefunden?«, fragte er, als er sich neben mich ans Ufer gesetzt hatte.
»Was?« Ich wusste echt nicht, was er meinte.
»Na, was du am Mittwoch von mir wissen wolltest.« Er grinste mich an. Oh, oh, mir dämmerte da was.
»Ach so«, antwortete ich schnell. »Balz. Es ging um Balz. Ja, dazu habe ich inzwischen viel Material.«
»Nix Balz. Du wolltest wissen, was Menschenmännchen tun, wenn sie ein Menschenmädchen küssen wollen.«
»Ach, stimmt. Ja. Ist ja auch irgendwie Balz, oder?«
»Und? Weißt du’s jetzt?«, fragte er.
»Jep.« Ich betrachtete meine Fingernägel.
»Aha! Erzähl!« Tom sah mich so unschuldig an, als wolle er wirklich nur eine Bio-Frage klären. Cassie lag neben ihm im Gras, schloss die Augen und döste.
»Sie küssen einfach drauflos. Einen eleganten Übergang von der Balz zum Kuss gibt es nicht.«
»So ein Quatsch!«, sagte Tom. »Wo hast du das denn gelesen? In Brehms Tierleben? Du, das geht anders!«
»Ach?! Na, dann leg mal los!« Ups. Wie klang das denn? Tom zog eine Augenbraue hoch und sah mich überrascht an.
»Nur rein theoretisch, mein ich natürlich«, ergänzte ich. »Also, äh, erzähl mal, wie das geht.«
»Okay«, sagte Tom und rutschte ein bisschen näher an mich ran. »Pass auf. Du kannst Menschenmännchen einteilen in zwei Sorten: Es gibt Redner, die verwenden Worte, und esgibt welche, die eher auf nonverbale Kommunikation stehen. Die arbeiten mit Körpersprache und Blicken. Beides bewirkt aber dasselbe.«
»Und das wäre?«
»Ein Knistern.«
»Aha.«
»Ja. Und wenn es ordentlich knistert, dann wird irgendwann auch geküsst.«
»Aha.«
»Ja. So einfach ist das.«
»Und was ist mit Männchen, die ein Mädchen einfach so ohne Vorwarnung küssen? Zum Abschied oder so?« Ich machte ein ganz unschuldiges Gesicht.
»Die sind seit der Steinzeit ausgestorben!«
»Oh?!«
»Ja, klar«, sagte Tom. »Natürliche Auslese. Frauen mögen so was nicht.«
Denkste, dachte ich. Aber das sagte ich nicht.
»Und welche Sorte Männchen bist du?«, fragte ich stattdessen.
»Ich kann beides.«
»Na, da wär ich ja gern mal Mäuschen, wenn du es knistern lässt.« Ich überlegte. »Könntest du vielleicht mal kurz? Nur zur Probe?«
»Vergiss es!«
»Oooooch, Tom!«
»Und wenn du dich auf den Kopf stellst – ich mach’s nicht.«
»Weil du’s nicht kannst.«
»Ein billiger Trick, Lilia.«
»Pöh, dann lass es eben. Ich weiß ja sowieso, was kommt!«
»So? Was denn?«
»Erst rutschtst du immer näher, dann starrst du mich an, und zuletzt erzählst du mir was von schönen Augen, die ich habe, oder von schönen Haaren, und dann hab ich die Wahl: entweder unter einem Vorwand verschwinden oder küssen. Anders kommt man aus der Nummer nicht raus.«
»Wow! Klingt nach einem erfüllten Liebesleben. Nee, so mache ich das nicht.«
»Wie dann?«
»Na, dann pass jetzt mal gut auf!«
Er stand auf und zog mich zu sich hoch. Plötzlich funkelten seine Augen. Ich konnte nicht mehr wegsehen. Wollte ich auch gar nicht. Er näherte sich mir. Nur ein paar Millimeter. »Lilia«, sagte er ganz leise. »Ich küss dich gleich.«
Und plötzlich knisterte die Luft zwischen uns. Aber hallo! Ich fühlte mich, als wären lauter kleine Metallspäne auf meiner Haut, und als wäre er ein Magnet.
Und dann summte die Luft.
Nein. Nicht die Luft. Es dauerte ein paar Sekunden, bis ich begriff, dass das mein Handy war, was da brummte.
Ich zog es
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