Wen küss ich und wenn ja, wie viele? - Lilias Tagebuch
Bio-Referat!!! Herr Welter verlässt sich auf mich. Und fertig ist es ja. Hmmm.
6.31 Uhr Schule oder nicht Schule, das ist hier die Frage.
Pro-Argumente:
1. Das Bio-Referat
2. Die gesetzliche Schulpflicht
Contra-Argumente:
1. Ich muss Tom heute sagen, dass ich mit Jakob zusammen bin.
2. Ich weiß aber gar nicht, ob ich noch mit Jakob zusammen bin.
3. Falls nein: Was mach ich denn dann?
4. Und falls ja: Was mach ich in diesem Fall?
5. Will da nicht hin.
6. Will hierbleiben.
6.40 Uhr Das sind zwei Pro-Argumente und sechs Contra-Argumente. Fazit: Ich stell mich tot.
6.45 Uhr SMS von Jakob: »I miss you!«
6.50 Uhr Ui. Jetzt aber schnell duschen …
6.51 Uhr Und Tom? Was mach ich mit dem?
6.52 Uhr Mensch, wieso muss ich wieder alles so unnötig kompliziert machen? Okay, ich hätte Tom gestern sagen sollen, was Sache ist. Na und? Jetzt erfährt er es eben heute. Ein Tag früher oder später, das sind doch Peanuts. Ich sag es ihm nachher, wenn er mich abholt. Tom und ich – wir sind Freunde. Basta.
14.00 Uhr, wieder zu Hause.
Mannomann, dieses Referat war keine Sternstunde in meinem Leben, das gehört eindeutig in die Rubrik »shit happens«. Schade. Ich war so gut vorbereitet. Aber vielleicht ist das jetzt die gerechte Strafe für die Mogelei bei der Bio-Arbeit.
Heute Morgen fing alles schon ziemlich chaotisch an. Ich habe ewig auf Tom gewartet, aber der kam nicht, um mich abzuholen. Kurz vorm Klingeln bin ich schließlich in die Schule gesaust und habe es gerade noch knapp vor Herrn Welter in den Biosaal geschafft. Ich war ganz schön flatterig, als ich auf meinen Stuhl sank.
Aber ich hatte keine Zeit, zur Ruhe zu kommen. Herr Welter legte gleich los. »Wozu braucht man Männer? Lilia hat diese Frage für uns wissenschaftlich untersucht und ich bin sehr gespannt auf ihre Antworten. So, Lilia, bitteschön.«
Hohoho, Grölen, Pfiffe. Alle Augen waren auf mich gerichtet. Na, und dann kam mein Auftritt. An der Eröffnungsrede hatte ich lange gefeilt.
»Ich beginne mit einem sehr kleinen Tier: mit der Breitfuß-Beutelmaus.«
Erste Lacher. Die hatte ich eingeplant, genau an dieser Stelle.
»Wenn wir als Menschen Details aus dem Liebesleben dieser kleinen Nagetiere erfahren, finden wir die Sexpraktiken dieser Winzlinge seltsam. Breitfuß-Beutelmäuse paaren sich nämlich nur einmal im Jahr, dann aber alle gleichzeitig, im selben Nest, kreuz und quer durcheinander.« Stimmengemurmel, vor allem von den Jungs. Damit hatte ich gerechnet.
»Diese Paarungszeit ist allerdings für die Breitfuß-Beutelmaus-Männchen so stressig, dass sie hinterher alle tot umfallen. Zack, bumm, peng, weit und breit keine Mäuseriche mehr. Beziehungsprobleme gibt es bei diesen Tieren nicht.« Gekicher,vor allem von den Mädels. Genau wie ich es vorhergesehen hatte.
»Die Weibchen ziehen die Jungtiere allein auf und sterben anschließend ebenfalls. Und im nächsten Frühjahr geht das Ganze dann von vorne los, in der nächsten Generation. Diese Fortpflanzungspraktik scheint aus unserer Sicht nicht nachahmenswert. Aber versetzen wir uns mal in die Situation einer Breitfuß-Beutelmaus und betrachten das Liebesleben des Menschen durch ihre Knopfaugen: Menschenmännchen leben jahrzehntelang mit einem Weibchen zusammen. Sie paaren sich unabhängig von Jahreszeit und Wetter immer wieder und wieder. Diese seltsame Spezies tut das aber nicht im Rudel, wo man in solch wehrlosen Situationen doch wenigstens ein bisschen Schutz genießen würde, sondern meist ganz einsam in der Schlafhöhle des Paares verborgen. Und dann ziehen diese seltsamen haarlosen Tiere ihre Jungen auch noch gemeinsam auf und benötigen dafür zwanzig Jahre, also zwanzig Mäuseleben. Wie aufwendig. Und mit welch magerem Ergebnis! Im Durchschnitt hat ein Menschenpärchen gerade mal ein bis zwei Junge im Leben. Die Breitfuß-Beutelmaus wäre fassungslos, wenn sie das wüsste.«
Bis zu dieser Stelle lief es super. Ich wollte gerade überleiten zu der grundsätzlichen Frage, was denn eigentlich normal ist beim Thema Fortpflanzung, und was seltsam. Ich wollte männliches Imponiergehabe, Balzrituale und Balzgeschenke erwähnen. Ich wollte erzählen, dass es im Tierreich beim Thema Fortpflanzung nicht immer nur um Männchen und Weibchen geht. So wollte ich auf Zwitter überleiten, die beide Geschlechter in sich vereinen. Ich wollte dann Tierarten erwähnen, die sich jungfräulich fortpflanzen und danach wollte ich andere Tiere zurSprache bringen, bei denen sogar drei
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