Wen liebst du wirklich?
Geschick hatte sich zum Guten gewandt. Cassian hatte Adam kennen gelernt und verstand nun, was ihr Sohn brauchte. Sie war sich sicher, dass sie und Adam jetzt eine Weile würden bleiben dürfen. Vielleicht fand sie ja sogar einen Weg, das Haus mit Cassian zu teilen, bis er dieser engen Grenzen wieder müde sein und zu neuen Horizonten aufbrechen würde. Vielleicht konnte sie ja neben einem neuen Job noch für Cassian kochen, putzen und ihm die Wäsche machen. Welcher Mann würde ablehnen, wenn ihm so etwas kostenlos angeboten wurde?
Während sie solche Pläne schmiedete, beobachtete sie ihn verstohlen. Genussmensch, der er war, hob er die offene Weinflasche an die Nase und atmete das Aroma des Weines ein. Dann schenkte er zwei Gläser ein und brachte ihr eines. "Zum Wohl", wünschte er ihr leise.
Ihre Finger berührten sich, als Laura das Glas nahm. Sie zuckte zurück, als hätte sie sich verbrannt, und Cassians Augen blitzten auf. Langsam kehrte er an seinen Platz zurück, sagte aber nichts. Stattdessen konzentrierte er sich auf den Wein, studierte seine Farbe, atmete erneut den Duft ein und trank dann einen Schluck. "Was hältst du davon?" fragte er, als würde ihre Meinung tatsächlich zählen.
Laura hob rasch ihr Glas. "Ich habe keine Ahnung von Wein."
"Aber du hast doch Geschmacksnerven!" entgegnete er energisch.
Sie nippte vorsichtig. Und dann noch einmal. Es fiel ihr schwer, die richtigen Worte zu finden, um das kraftvolle Aroma des dunkelroten Weines zu beschreiben, der sie schon nach nur zwei Schlucken verführerisch von innen wärmte. "Ich liebe den Duft", antwortete sie deshalb ausweichend. "Er gibt mir das Gefühl, reich zu sein."
"Lass mich auch mal riechen, Mum!"
Lachend hielt sie Adam das Glas unter die Nase, und der verdrehte die Augen und verkündete, er sei mindestens Millionär.
"Gar nicht so verkehrt", bekräftigte Cassian. "Denn nichts ist mehr wert als gutes Essen, ein guter Wein, zu lieben und geliebt zu werden."
Es gibt jemand in seinem Leben! dachte Laura unwillkürlich und war selbst überrascht, wie enttäuscht sie war. Aber der zärtliche Unterton in seinen Worten war unmissverständlich gewesen. Zwar trug er keinen Ring, aber Cassian würde sich auch von keiner Frau anketten lassen.
"Ich habe Mum", meinte Adam unbefangen. "Und wen hast du?"
"Meinen Sohn", antwortete Cassian liebevoll.
Laura hätte fast ihren Wein verschüttet. "Deinen Sohn?"
"Jai. Er ist zehn."
"Und ich bin neun!" rief Adam begeistert.
Cassian lächelte. "Ja, ich weiß. Die Welt ist klein."
Adam begann ihn mit Fragen zu löchern, und Laura begriff, dass die Erfahrung mit dem eigenen Sohn der Grund war, warum Cassian so gut mit ihrem Sohn zurechtkam. Und was ist mit der Mutter? dachte sie. Der Frau, die das Herz dieses Mannes gewonnen und das beneidenswerte Privileg gehabt hatte, seinen wundervollen Körper zu entkleiden …
Entsetzt rief Laura sich zur Ordnung. Aus unerfindlichen Gründen wurde sie plötzlich von heftiger Eifersucht gepackt. Sie wollte Cassian so nahe sein … vielleicht, weil es wunderbar sein musste, die Macht zu haben, einen so starken, unabhängigen Menschen zu erobern, dass allein ein Kuss von ihm sie als einzigartig unter allen Frauen auszeichnen würde. Sie wollte an seiner Seite sitzen, in seinen starken Armen Trost und Ruhe finden … und von seiner Leidenschaft entflammt werden.
Du liebe Güte! dachte sie erschrocken. Was war nur mit ihr los?
"Marrakesch?"
Adams Ausruf ließ Laura zusammenzucken.
Cassian war aufgesprungen, nahm die Auflaufform aus dem Ofen und stellte einen Topf mit Wasser auf den Herd für die tiefgefrorenen Erbsen. Jetzt stürzte er sich in Ersatzhandlungen, um nicht mehr in Lauras verträumtes Gesicht sehen zu müssen. Wovon mochte sie träumen? Er musste all seine Willenskraft aufbieten, um nicht seinem Verlangen nachzugeben, endlich diese verlockenden Lippen zu küssen, bis er nicht mehr wusste, wo ihm der Kopf stand. Eine selbstmörderische Vorstellung!
"Ja", beantwortete er Adams Frage, wobei er völlig unnötigerweise das Wasser beobachtete, wie es langsam erhitzte. Aber es war eine willkommene Ausrede, um Laura den Rücken zukehren zu können. "Jai wandert mit Freunden im Atlasgebirge. Sie werden ihn in ein Flugzeug nach Heathrow setzen, und in einigen Tagen wird er hier auftauchen. Ich weiß nicht genau, wann."
Hinter ihm herrschte angespannte Stille. Neugierig blickte er sich um und sah, dass Laura ihn entgeistert ansah.
"Du überlässt
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