Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wendekreis des Krebses

Wendekreis des Krebses

Titel: Wendekreis des Krebses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
Vom Netzwerk:
impulsiv meine Hand und führte sie an ihre Lippen. Ich war sprachlos. Am liebsten hätte ich ihr alles gegeben, was ich besaß. Sie rührte mich, diese verrückte kleine Geste. Ich dachte bei mir, es ist manchmal gut, reich zu sein, um so ein aufregendes Erlebnis zu haben. Trotzdem verlor ich nicht den Kopf. Fünfzig Francs! Das war mehr, als man in einer Regennacht vergeuden sollte. Als ich wegging, winkte sie mir mit dem verrückten kleinen Hut, den sie nicht aufzusetzen verstand. Es war, als seien wir alte Spielkameraden. Ich kam mir närrisch und unbesonnen vor. ‹Mein lieber, guter Herr … Sie haben ein so gütiges Gesicht … Sie sind so gut, usw.› Ich kam mir wie ein Heiliger vor.
    Wenn man sich innerlich ganz aufgewühlt fühlt, ist es nicht so leicht, gleich zu Bett zu gehen. Man hat das Gefühl, für einen so unerwarteten Ausbruch von Güte erst einmal büßen zu müssen. Als ich am ‹Dschungel› vorbeikam, konnte ich einen Blick auf die Tanzfläche werfen. Frauen mit nacktem Rücken, halb erwürgt von Perlenketten – so wenigstens sah es aus – wackelten einladend mit ihren schönen Popos. Ich trat geradewegs an die Bar und bestellte ein Glas Champagner. Als die Musik abbrach, nahm eine hübsche Blondine – sie sah wie eine Norwegerin aus – dicht neben mir Platz. Das Lokal war nicht so voll oder so lustig, wie es von außen ausgesehen hatte. Es war nur ein halbes Dutzend Paare da, die alle gleichzeitig getanzt haben mußten. Ich bestellte noch ein Glas Champagner, um mir Mut zu machen.
    Als ich aufstand, um mit der Blonden zu tanzen, war die Tanzfläche leer. Zu jeder anderen Zeit wäre ich verlegen gewesen, aber der Champagner und die Art, wie sie sich an mich preßte, das gedämpfte Licht und das beruhigende Gefühl der Sicherheit, das mir die paar hundert Francs verliehen … Wir tanzten erneut miteinander, eine Art Sondervorführung, und dann knüpften wir eine Unterhaltung an. Sie hatte zu weinen begonnen – so fing es an. Ich dachte, sie habe möglicherweise zu viel getrunken, tat also, als merkte ich nichts. Und inzwischen blickte ich mich um, ob nicht was anderes greifbar wäre. Aber das Lokal war vollkommen leer. Wenn man in die Falle gegangen ist, gilt es, sofort abzuhauen. Tut man das nicht, ist man verloren. Was mich zurückhielt, war merkwürdigerweise gerade das Gefühl, daß ich noch einmal ausgenutzt werden sollte. Man läßt sich immer wieder durch irgendeinen Unsinn verführen.
    Sie weinte, wie ich bald genug herausfand, weil sie gerade ihr Kind beerdigt hatte. Sie war auch keine Norwegerin, sondern eine Französin und noch dazu Hebamme. Eine schicke Hebamme, muß ich sagen, sogar mit den übers Gesicht rinnenden Tränen. Ich fragte sie, ob ein kleiner Drink nicht vielleicht helfen würde, sie zu trösten, woraufhin sie sofort einen Whisky bestellte und ihn im Nu hinunterkippte. «Möchten Sie noch einen?» bot ich freundlich an. Sie glaube ja, sie fühle sich so scheußlich, so schrecklich niedergeschlagen. Sie fand, sie hätte auch gerne ein Päckchen Camels. «Nein, warten Sie einen Augenblick, ich möchte doch lieber les Pall Mall.» Bestelle, was du willst, dachte ich, aber hör um Himmels willen zu weinen auf, es geht mir auf die Nerven. Ich brachte sie wieder zum Tanzen hoch. Als sie stand, schien sie ein anderer Mensch zu sein. Vielleicht macht einen Kummer sinnlicher, ich weiß es nicht. Ich murmelte etwas von Weggehen. «Wohin?» fragte sie eifrig. «Oh, irgendwohin. An einen ruhigen Ort, wo wir uns unterhalten können.»
    Ich ging auf die Toilette und zählte noch einmal das Geld nach. Die Hundertfrancsnoten versteckte ich in meiner Westentasche und behielt einen Fünfzigfrancsschein und das lose Kleingeld in meiner Hosentasche. Ich ging zur Bar zurück, entschlossen, keine Umschweife zu machen.
    Sie machte es mir leichter, als ich gedacht hatte, denn sie lenkte selbst das Gespräch darauf. Sie sei in der Klemme. Nicht nur habe sie gerade ihr Kind verloren, sondern ihre Mutter liege krank, sehr krank daheim, und der Arzt sei zu bezahlen, und Arznei müsse gekauft werden und so fort und so fort. Ich glaubte natürlich kein Wort davon. Und da ich für mich ein Hotel finden mußte, schlug ich vor, sie sollte mitkommen und die Nacht über bei mir bleiben. So kann man eine Kleinigkeit sparen, dachte ich bei mir. Aber das wollte sie nicht. Sie bestand darauf, heimzugehen, sagte, sie habe eine eigene Wohnung und müsse außerdem nach ihrer Mutter sehen. Nach kurzer

Weitere Kostenlose Bücher