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Wendekreis des Krebses

Wendekreis des Krebses

Titel: Wendekreis des Krebses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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sieht jedoch nicht so aus, als habe sie große Schmerzen aushalten müssen. Sie wiegt fast so viel wie eine höckerige Lokomotive. Immer rinnt ihr der Schweiß aus allen Poren, sie leidet an Mundgeruch und trägt ständig ihre tscherkessische Perücke, die nach Hobelspänen aussieht. Am Kinn hat sie zwei große Warzen, aus denen ein kleines Haarbüschel sprießt. Sie bekommt einen Schnurrbart.
    Am Tag, nachdem Olga aus dem Krankenhaus gekommen war, machte sie sich wieder an die Arbeit. Schon um sechs Uhr morgens sitzt sie auf ihrem Schemel. Am Tag fertigt sie zwei Paar Schuhe an. Eugène beklagt sich, Olga sei eine Last, aber in Wahrheit ernährt Olga Eugène und seine Frau mit ihren zwei Paar Schuhen pro Tag. Wenn Olga nicht arbeitet, gibt es nichts zu essen. Daher sind alle bemüht, Olga rechtzeitig ins Bett zu schicken, sie ausreichend zu ernähren, damit sie weitermachen kann usw. Jede Mahlzeit beginnt mit einer Suppe. Ob es nun Zwiebel-, Tomaten-, Gemüse- oder sonst eine Suppe ist, sie schmeckt immer gleich. Meistens schmeckt sie, als ob ein Spültuch in ihr ausgekocht worden wäre, leicht säuerlich, modrig, mit einer Schaumschicht. Ich sehe, wie Eugène sie nach dem Essen in der Kommode versteckt. Dort bleibt sie stehen und geht bis zur nächsten Mahlzeit in Fäulnis über. Auch die Butter wird in der Kommode versteckt; nach drei Tagen schmeckt sie wie die große Zehe eines Leichnams. Der Geruch schmorender, ranziger Butter ist nicht übermäßig appetitanregend, besonders nicht, wenn das Kochen in einem Raum vor sich geht, der überhaupt nie gelüftet wird. Sobald ich die Tür öffne, wird mir schlecht. Aber sobald er mich kommen hört, öffnet Eugène die Fensterladen und zieht das Bettlaken zurück, das wie ein Fischnetz aufgehängt ist, um die Sonne abzuhalten. Armer Eugène! Er blickt sich im Zimmer um, sieht die paar Möbelstücke, die schmutzigen Bettlaken und die Waschschüssel, in der noch das schmutzige Wasser steht, und sagt: «Ich bin ein Sklave!» Er sagt das jeden Tag, nicht nur einmal, sondern ein dutzendmal. Und dann nimmt er seine Gitarre von der Wand und singt.
    Aber was den Geruch nach ranziger Butter betrifft … Er weckt auch erfreuliche Gedankenverbindungen. Wenn ich an diese ranzige Butter denke, sehe ich mich in einem Hof der Alten Welt stehen, einem sehr muffigen, sehr düsteren Hof. Durch die Ritzen in den Fensterladen blicken mich seltsame Gestalten an: alte Frauen mit Kopftüchern, Zwerge, rattengesichtige Kupplerinnen, gebeugte Juden, midinettes , bärtige Idioten. Sie kommen in den Hof herausgewankt, um Wasser zu pumpen oder die Spülichteimer auszuleeren. Eines Tages fragte mich Eugène, ob ich den Eimer für ihn ausleeren wollte. Ich trug ihn in die Hofecke. Dort war ein Loch im Boden, und schmutziges Papier lag um das Loch herum. Der kleine Schacht war schleimig von Exkrementen, genau gesagt Scheiße . Ich kippte den Eimer aus, und es erfolgte ein fauliges, gurgelndes Geplätscher, dann ein weiteres und unerwartetes Glucksen. Als ich zurückkam, wurde die Suppe ausgeteilt. Die ganze Mahlzeit hindurch dachte ich an meine Zahnbürste, sie wird alt, und die Borsten verfangen sich in meinen Zähnen.
    Wenn ich mich zum Essen hinsetze, dann immer in die Nähe des Fensters. Mir graut davor, an der anderen Seite des Tisches zu sitzen – sie ist zu nahe am Bett, und im Bett krabbelt es. Ich sehe Blutflecken auf den grauen Laken, wenn ich in diese Richtung schaue, aber ich bemühe mich, es nicht zu tun. Ich blicke auf den Hof hinaus, wo man die Spülichteimer ausleert.
    Ohne Musik ist die Mahlzeit niemals vollkommen. Sobald der Käse herumgereicht worden ist, springt Eugène auf und greift nach der Gitarre, die über dem Bett hängt. Es ist immer dasselbe Lied. Er behauptet, er habe fünfzehn oder sechzehn Lieder in seinem Repertoire, aber ich habe nie mehr als drei davon gehört. Sein Lieblingslied ist Charmant poème d’amour . Es ist voll angoisse und tristesse .
    Am Nachmittag gehen wir ins Kino, wo es kühl und dunkel ist. Eugène setzt sich in dem großen Parterre ans Klavier, und ich setze mich auf einen Platz in der vordersten Reihe. Das Haus ist leer, aber Eugène singt, als habe er alle gekrönten Häupter Europas zu Zuhörern. Die Gartentür steht offen, der Geruch feuchten Laubes sickert herein, und der Regen vermischt sich harmonisch mit Eugènes angoisse und tristesse . Um Mitternacht, nachdem die Zuschauer den Raum mit Ausdünstung und verbrauchtem Atem gesättigt

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