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Wendekreis des Krebses

Wendekreis des Krebses

Titel: Wendekreis des Krebses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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überließ. Es kommt mir jetzt belustigend vor, daß dieser kleine Habenichts einmal durch die Halle dieses Hotels in New York mit einem Ebenholzspazierstock stolzierte, die Pagen herumkommandierte, Diners für seine Gäste bestellte, beim Portier nach Theaterkarten anrief, ein Taxi für den ganzen Tag mietete usw. usw., all das ohne einen Sou in der Tasche. Nur eben eine Schnur dicker Perlen um den Hals, die er mit der Zeit eine nach der anderen in Zahlung gab. Und die alberne Art, mit der er mich auf den Rücken zu klopfen und mir dafür zu danken pflegte, daß ich zu den Hindus so gut war: «Sie sind alle sehr gescheite Jungens, Endree, sehr gescheit!» Wobei er mir sagte, daß der gute Gott Sowieso mir meine Güte vergelten werde. Das erklärt nun, warum sie so zu kichern pflegten, diese gescheiten Hindujungens, wenn ich ihnen vorschlug, Nanantatee um einen Fünfer anzupumpen.
    Merkwürdig, wie mich nun der gute Gott Sowieso für meine Güte entlohnt. Ich bin nur ein Sklave für diesen dicken kleinen Habenichts. Ich habe dauernd auf seinen Wink und sein Wort bereit zu sein. Er braucht mich um sich, sagt er mir geradeheraus. Wenn er auf den Lokus geht, ruft er: «Endree, bringen Sie mir einen Krug Wasser, bitte. Ich muß mich abputzen.» Er dächte nicht daran, Toilettenpapier zu benutzen, Nanantatee. Ist wohl gegen seine Religion. Nein, er ruft nach einem Krug Wasser und einem Lappen. Er ist zartfühlend , der dicke kleine Habenichts. Manchmal, wenn ich eine Tasse blassen Tee trinke, in den er ein Rosenblatt geworfen hat, kommt er zu mir, und läßt mir einen lauten Furz gerade ins Gesicht. Er sagt nie: «Entschuldigung!» Dieses Wort muß in seinem Gujarati-Wörterbuch fehlen.
    Am Tag, als ich in Nanantatees Wohnung ankam, war er im Begriff, seine Waschungen zu vollziehen, das heißt, er beugte sich über eine schmutzige Schüssel und versuchte mit seinem verkrümmten Arm seinen Nacken zu erreichen. Neben der Schüssel stand ein Messingbehälter, den er benutzte, um das Wasser zu wechseln. Er ersuchte mich, während der Zeremonie zu schweigen. Wie gebeten, saß ich stumm da und beobachtete ihn, wie er sang und betete und dann und wann in die Waschschüssel spuckte. Das also ist die wundervolle Zimmerflucht, von der er in New York sprach! Die Rue Lafayette! Das hörte sich in New York für mich nach großer Straße an. Ich dachte, dort wohnten nur Millionäre und Perlenhändler. Rue Lafayette, das klingt großartig, wenn man sich auf der anderen Seite des großen Teiches befindet. Das gleiche gilt von der Fifth Avenue, wenn man hier in Paris ist. Man kann sich nicht vorstellen, was für Wohnlöcher es in diesen Prachtstraßen gibt. Jedenfalls, hier bin ich endlich und sitze in der üppigen Zimmerflucht in der Rue Lafayette. Und dieser verrückte Kerl mit seinem krummen Arm absolviert den Ritus seiner Waschungen. Der Stuhl, auf dem ich sitze, ist zerbrochen, das Bett fällt auseinander, die Tapete ist in Fetzen, unter dem Bett steht ein offener, mit schmutziger Wäsche vollgestopfter Koffer. Von dort, wo ich sitze, kann ich hinunterblicken auf den elenden Hof, wo die Aristokratie der Rue Lafayette sitzt und ihre Tonpfeifen raucht. Ich frage mich jetzt, während er seine liturgischen Hymnen leiert, wie wohl der Bungalow in Darjeeling aussehen mag. Sein Singen und Beten nimmt kein Ende.
    Er erklärt mir, daß er sich in einer gewissen vorgeschriebenen Weise waschen müsse, seine Religion fordere das. Aber an den Sonntagen badet er in der Zinkwanne – der Große I CH BIN wird schon ein Auge zudrücken, sagt er. Wenn er angezogen ist, geht er zum Schrank, kniet vor einem auf dem dritten Brett stehenden kleinen Götzenbild nieder und wiederholt den Hokuspokus. Wenn man jeden Tag so betet, sagt er, passiert einem nichts. Der gute Gott wie-heißt-er-noch vergißt einen gehorsamen Diener nie. Und dann zeigt er mir den verkrümmten Arm, den er sich bei einem Autounfall geholt hatte, an einem Tag, an dem er zweifellos die vollständige Absolvierung seiner Gesänge und Tänze versäumt hatte. Sein Arm sieht aus wie ein zerbrochener Kompaß; es ist kein Arm mehr, sondern ein Knochen mit einem Griff dran. Seit der Arm wieder hergestellt ist, haben sich zwei geschwollene Drüsen in der Achselhöhle entwickelt – dicke, kleine Drüsen, genau wie die Hoden eines Hundes. Während er über seine Heimsuchung jammert, fällt ihm plötzlich ein, daß der Arzt eine freizügigere Ernährung empfohlen hat. Er bittet mich, ich soll mich

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