Wendekreis des Krebses
Flossen, Sansibar, der Alcazar. Als den Guadalquivir entlang tausend Moscheen schimmerten . Tief in den Eisbergen, und die Tage ganz fliederfarben. Die Money Street mit zwei weißen Pfählen zum Vertäuen. Die Wasserspeier … Der Mann mit dem Jaworski-Unsinn … die Lichter am Fluß … die …
I n Amerika hatte ich eine Anzahl Hindufreunde, einige waren gut, andere schlecht, einige keins von beiden. Die Umstände hatten mich in eine Lage versetzt, in der ich ihnen glücklicherweise behilflich sein konnte; ich besorgte ihnen Arbeit, gewährte ihnen Unterkunft und gab ihnen, wenn nötig, zu essen. Sie waren sehr dankbar, muß ich sagen; tatsächlich so sehr, daß sie mir mit ihren Aufmerksamkeiten das Leben versauerten. Zwei von ihnen waren Heilige, soweit ich mich auf Heilige verstehe, insbesondere Gupte, der eines Morgens aufgefunden wurde, die Kehle von einem Ohr zum anderen durchschnitten. In einer kleinen Pension in Greenwich Village fand man ihn eines Morgens nackt auf dem Bett ausgestreckt, neben sich seine Flöte, und seine Kehle klaffte, wie gesagt, von einem Ohr zum anderen. Man fand nie heraus, ob er ermordet worden war oder Selbstmord begangen hatte. Aber das gehört nicht zur Sache …
Ich denke zurück an die Kette von Umständen, die mich zuletzt in die Wohnung von Nanantatee führten. Wie merkwürdig ist es doch, daß ich Nanantatee ganz vergessen hatte, bis ich unlängst in einem schäbigen Hotelzimmer in der Rue Cels lag. Ich liege dort auf einem Eisenbett und überlege,was für eine Null ich geworden bin, was für eine Nummer, was für ein Nichts, als – knall bumm! – das Wort NONENTITY vor mir auftaucht! So hatte er sich in New York genannt – Nonentity, Mister Nonentity.
Nun liege ich auf dem Fußboden in jener prunkvollen Zimmerflucht, von der er in New York strahlend erzählte. Nanantatee spielt den barmherzigen Samariter. Er hat mir zwei kratzige Decken gegeben, es sind Pferdedecken, in die ich mich auf dem staubigen Fußboden einhülle. Zu jeder Stunde des Tages gibt es kleine Verrichtungen zu erledigen, das heißt, wenn ich so dumm bin, zu Hause zu bleiben. Am Morgen weckt er mich grob, damit ich ihm das Gemüse für sein Mittagessen vorbereite: Zwiebeln, Knoblauch, Bohnen usw. Sein Freund Kepi warnt mich davor, das Essen anzurühren – er sagt, es sei schlecht. Gut oder schlecht, was macht das schon? Essen! Nur darauf kommt es an. Für ein wenig Essen bin ich durchaus bereit, seine Teppiche mit einem abgebrochenen Besen zu fegen, seine Wäsche zu waschen und die Krumen vom Boden aufzukehren, sobald er mit dem Essen fertig ist. Er ist seit meiner Ankunft peinlich genau geworden: alles muß jetzt abgestaubt, die Stühle müssen in einer gewissen Ordnung gestellt, die Uhr muß aufgezogen werden, und die Spülung der Toilette muß richtig rauschen … Ein verrückter Hindu, wenn es je einen gegeben hat! Und kärglich wie eine Stangenbohne. Ich werde schrecklich darüber lachen, wenn ich seinen Klauen entronnen bin, aber im Augenblick bin ich ein Gefangener, ein Mensch ohne Kaste, ein Paria …
Wenn ich nachts nicht heimkomme und mich in die Pferdedecken rolle, sagt er zu mir bei meiner Ankunft: «Oh, Sie sind also nicht gestorben? Ich dachte, Sie seien gestorben.» Und obwohl er weiß, daß ich ohne einen roten Heller bin, erzählt er mir jeden Tag etwas von einem billigen Zimmer, das er gerade in der Nachbarschaft entdeckt hat. «Aber ich kann jetzt doch kein Zimmer mieten, das wissen Sie doch», sage ich. Und dann, mit den Augen blinzelnd wie ein Chinese, antwortet er sanft: «Ach, richtig, ich vergaß, daß Sie kein Geld haben. Ich vergesse das immer, Endree. Aber wenn das Telegramm kommt, wenn Fräulein Mona das Geld schickt, dann kommen Sie doch mit mir und sehen sich das Zimmer an, was?» Und mit dem nächsten Atemzug drängt er mich, so lange zu bleiben, wie ich Lust habe: «Sechs, sieben Monate, Endree. Sie sind mir hier sehr wertvoll.»
Nanantatee ist einer von den Hindus, für die ich nie etwas in Amerika getan habe. Er stellte sich mir als wohlhabender Kaufmann, als Perlenhändler vor, mit einer luxuriösen Zimmerflucht in der Rue Lafayette, Paris, einer Villa in Bombay und einem Bungalow in Darjeeling. Ich konnte auf den ersten Blick sehen, daß er kein großes Licht war; aber geistig Beschränkte haben manchmal die geniale Gabe, ein Vermögen zusammenzuraffen. Ich wußte nicht, daß er seine Hotelrechnung in New York damit bezahlte, daß er dem Besitzer zwei dicke Perlen
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