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Wendekreis des Krebses

Wendekreis des Krebses

Titel: Wendekreis des Krebses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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man vorhat, wenn es sich auch nur darum dreht, einen Gang um die Ecke zu machen, Kepi macht es billiger. Kepi zeigt einem den kürzesten Weg, die billigste Stelle, die größte Schüssel, denn was man auch vorhat, man muß an einem tabac vorüber, und ob eine Revolution ausgebrochen ist oder Verdunkelung herrscht oder eine Quarantäne verhängt ist, Kepi muß im Moulin Rouge oder im Olympia oder im Ange Rouge sein, wenn die Musik beginnt.
    Unlängst gab er mir ein Buch zu lesen. Es handelte von einem berühmten Prozeß zwischen einem Heiligen und dem Redakteur einer indischen Zeitung. Der Redakteur hatte anscheinend den Heiligen öffentlich beschuldigt, ein Ärgernis erregendes Leben zu führen. Er ging weiter und behauptete, der Heilige sei angesteckt. Kepi sagt, es müßte die französische Seuche gewesen sein, aber Nanantatee versichert, es habe sich um den japanischen Tripper gehandelt. Für Nanantatee muß alles ein bißchen übertrieben sein. Jedenfalls sagt Nanantatee munter: «Sagen Sie mir bitte, Endree, was drinsteht. Ich kann das Buch nicht lesen, es bereitet mir Armschmerzen.» Dann, um mich zu ermutigen: «Es ist ein feines Buch übers Ficken. Kepi hat es für Sie mitgebracht. Er denkt an nichts anderes als an Mädchen. Er fickt so viele Mädchen – genau wie Krischna. Wir zwei halten nichts von dem Geschäft, Endree.»
    Ein wenig später führt er mich in den Speicher hinauf, der vollgestopft ist mit Blechbüchsen und in Leinwand und Feuerwerkspapier eingewickeltem Zeug aus Indien. «Hierher bringe ich die Mädchen», sagt er. Und dann ziemlich nachdenklich: «Ich bin kein sehr guter Ficker, Endree. Ich besorgs den Mädchen nicht mehr. Ich schließe sie in die Arme und sage die passenden Worte. Ich habe jetzt nur noch Vergnügen daran, die Worte zu sagen.» Man braucht nicht mehr zuzuhören: ich weiß, daß er jetzt von seinem Arm sprechen wird. Ich kann ihn daliegen sehen, wie sein gebrochenes Scharnier über die Bettseite hinunterbaumelt. Aber zu meinem Erstaunen fügt er hinzu: «Ich tauge nicht zum Ficken. War nie ein sehr guter Ficker. Mein Bruder, der ist tüchtig! Dreimal täglich, und das jeden Tag! Und Kepi ist tüchtig – genau wie Krischna.»
    Seine Gedanken drehen sich jetzt nur noch um die Fickerei. Drunten in dem kleinen Zimmer, wo er vor dem offenen Wandschrank kniet, erklärt er mir, wie es war, als er noch reich war und seine Frau und Kinder um sich hatte. An Feiertagen brachte er seine Frau ins ‹Haus der Nationen› 1 und mietete ein Zimmer für die Nacht. Jedes Zimmer war in einem anderen Stil eingerichtet. Seiner Frau gefiel es dort sehr gut. «Ein wundervoller Ort zum Ficken, Endree. Ich kenne sämtliche Zimmer …»
    Die Wände des Zimmerchens, in dem wir sitzen, hängen voller Fotografien. Jeder Familienzweig ist vertreten, es ist wie ein Querschnitt durch das Indische Reich. Zum größten Teil sehen die Mitglieder dieses Stammbaums wie verwelkte Blätter aus: die Frauen sind zart und haben einen scheuen, erschrockenen Ausdruck in ihren Augen. Die Männer haben einen strengen, klugen Ausdruck, wie gelehrte Schimpansen. Sie sind alle vertreten, an die neunzig, mit ihren weißen Ochsen, ihren Dung-Kuchen, ihren dürren Beinen, ihren altmodischen Brillen. Im Hintergrund sieht man dann und wann etwas von dem versengten Erdboden, einen zerfallenen Dachgiebel, eine Gottheit mit einem Gewirr von Armen, eine Art menschlichen Tausendfüßler. Etwas so Phantastisches, so Ungereimtes haftet dieser Galerie an, daß man unausweichlich an den großen Tempelgürtel erinnert wird, der sich vom Himalaja bis zur Spitze Ceylons hinzieht als ein riesiger Gebäude-Dschungel, der in seiner Schönheit überwältigend und gleichzeitig grauenhaft, gräßlich grauenhaft ist, weil die Fruchtbarkeit, die in den Myriaden von ornamentalen Verschlingungen brodelt und gärt, den Boden Indiens erschöpft zu haben scheint. Betrachtet man das üppige Gewirr von Figuren, von denen es an den Tempelfassaden wimmelt, so ist man überwältigt von der Kraft dieser dunkelhäutigen, schönen Menschen, die ihre geheimnisvollen Ströme in einer geschlechtlichen Vereinigung mischten, die dreißig Jahrhunderte oder länger gedauert hat. Die zart gebauten Männer und Frauen mit ihren durchdringenden Augen, die einen von den Fotografien anblicken, erscheinen wie die abgezehrten Schatten dieser kraftvollen, massiven Gestalten, die sich von einem Ende Indiens zum anderen in Stein und Fresko inkarnierten, auf daß die

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