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Wendekreis des Krebses

Wendekreis des Krebses

Titel: Wendekreis des Krebses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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Heldenmythen der sich hier vermischenden Rassen für immer den Herzen ihrer Landsleute eingeprägt bleiben. Wenn ich nur ein Teilstück dieser raumgreifenden Träume in Stein, dieser getürmten, träge fließenden, mit Edelsteinen verzierten, aus menschlichem Samen geronnenen Bauten betrachte, bin ich überwältigt von der verwirrenden Pracht dieser phantasiereichen Gruppierungen, die es einer halben Milliarde Menschen verschiedenen Ursprungs ermöglichten, auf diese Weise den flüchtigsten Ausdruck ihrer Sehnsucht in Form zu kleiden.
    Es ist ein merkwürdiges, unerklärliches Gemisch von Gefühlen, das sich in mir regt, als Nanantatee nun weiterschwatzt über die Schwester, die im Kindbett gestorben ist. Dort ist sie, an der Wand, ein schwaches, schüchternes Geschöpf von zwölf oder dreizehn Jahren, an den Arm eines alten Gecken geklammert. Mit zehn Jahren wurde sie diesem Lustgreis angetraut, der bereits fünf Frauen ins Grab gebracht hatte. Sie hatte sieben Kinder, von denen nur eines sie überlebte. Sie war dem alten Gorilla beigegeben worden, um die Perlen in der Familie zu behalten. Als sie verlöschte, wie Nanantatee sich ausdrückt, flüsterte sie dem Arzt zu: «Ich bin dieser Fickerei müde. Ich will nicht mehr ficken, Doktor.» Als er mir das erzählt, kratzt er sich ernst mit seinem verdorrten Arm am Kopf. «Die Fickerei ist eine üble Sache, Endree», sagt er. «Aber ich verrate Ihnen ein Wort, das Ihnen immer Glück bringen wird. Sie müssen es jeden Tag sagen, wieder und wieder, eine Million Mal müssen Sie es sagen, Endree … Es ist das beste Wort, das es gibt, Endree, sprechen Sie mir jetzt nach: U MAHARAMUMA !»
    «Umarabu …»
    «Nein, Endree. So: ‹U MAHARAMUMA !›»
    «Umamabumba …»
    «Nein, Endree … so …»
    … aber bei dem trüben Licht, dem schlechten Druck, dem zerrissenen Einband, der zerfransten Seite, den täppischen Fingern, den Foxtrott tanzenden Flöhen, den langschläfrigen Läusen, dem Belag auf seiner Zunge, dem Wasser in seinem Auge, dem Kloß in seiner Kehle, dem Trunk in seiner Kanne, dem Jucken seiner Handfläche, dem Klagen des Windes, der Mühsal seines Atems, der Umneblung seines müden Gehirns, dem Mahnen seines Gewissens, der Größe seiner Wut, dem Einsturz seines Fundaments, dem Brand in seiner Kehle, dem Kitzeln in seinem Schwanz, den Ratten in seiner Dachstube, dem Tumult und dem Staub in seinen Ohren, während er einen Monat brauchte, um jemandem zuvorzukommen, war er doch hartnäckig dabei, mehr als ein Wort pro Woche auswendig zu lernen.
    Ich glaube, ich wäre Nanantatees Klauen nie entronnen, wenn sich nicht das Schicksal eingemischt hätte. Eines Abends wollte es das Glück, daß Kepi mich fragte, ob ich nicht einen seiner Kunden in einen nahegelegenen Puff bringen wollte. Der junge Mann war gerade aus Indien angekommen und konnte nicht allzuviel Geld für sich ausgeben. Er war einer von Gandhis Anhängern, einer von der kleinen Gruppe, die während der Bewegung gegen die Salzsteuer den historischen Marsch zum Meer mitmachte. Ein recht munterer Schüler Gandhis, muß ich sagen, trotz der von ihm abgelegten Enthaltsamkeitsgelübde. Offenbar hatte er seit Ewigkeiten keine Frau mehr gesehen. Ich brauchte ihn nur bis zur Rue Laferrière zu bringen. Er war wie ein Hund mit heraushängender Zunge. Und ein aufgeblasener, eitler kleiner Teufel obendrein! Er hatte sich mit einem Samtanzug, einem Béret, einem Spazierstock und einer Krawatte à la Windsor ausstaffiert; hatte sich Füllfederhalter, einen Kodak und Luxus-Unterwäsche gekauft. Das Geld, das er dafür ausgab, stammte von den Kaufleuten in Bombay; sie hatten ihn nach England geschickt, um das Evangelium Gandhis zu verkünden.
    Sobald wir in Miss Hamiltons Höhle waren, begann er sein sang-froid zu verlieren. Als er sich plötzlich von einem Rudel nackter Weiber umgeben fand, sah er mich bestürzt an. «Suchen Sie sich eine aus», sagte ich. «Sie können frei wählen.» Er war so verwirrt geworden, daß er sie kaum ansehen konnte. «Tun Sie das für mich», murmelte er heftig errötend. Ich musterte sie kühl und wählte ein strammes, junges Ding aus, das es in sich zu haben schien. Wir setzten uns in den Salon und warteten auf die Getränke. Die Madame wollte wissen, warum ich mir nicht auch ein Mädchen nahm. «Ja, nehmen Sie sich auch eine», sagte der junge Hindu. «Ich will nicht allein mit ihr sein.» Also wurden die Mädchen noch einmal hereingebracht, und ich suchte eine für mich selber aus,

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