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Wendekreis des Krebses

Wendekreis des Krebses

Titel: Wendekreis des Krebses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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wunderbarer als alles, was der Mensch erwartet hat. Es wäre wunderbar, denn es wäre unerträumt. Es wäre wunderbarer als sogar der wildeste Traum, denn jeder konnte sich diese Möglichkeit vorstellen, aber niemand hat das je getan, und vermutlich wird es nie wieder jemand tun.
    Irgendwie hatte die Erkenntnis, daß es nichts zu erhoffen gab, eine heilsame Wirkung auf mich. Wochen und Monate, Jahre hindurch, tatsächlich mein ganzes Leben hatte ich darauf gewartet, daß etwas, ein von außen kommendes Geschehnis eintreten würde, das mein Leben änderte, und jetzt fühlte ich mich plötzlich unter der Eingebung der vollkommenen Hoffnungslosigkeit von allem erleichtert, ich hatte das Gefühl, als sei eine große Last von meinen Schultern genommen. Mit dem Morgengrauen trennte ich mich von dem jungen Hindu, nachdem ich ihn um ein paar Francs, genug für ein Zimmer, erleichtert hatte. Während ich zum Montparnasse ging, beschloß ich, mich von der Strömung treiben zu lassen, dem Schicksal nicht den geringsten Widerstand entgegenzusetzen, ganz gleich, in welcher Form es an mich heranträte. Nichts, was mir bis jetzt widerfahren war, hatte ausgereicht, mich zu zerstören, nichts war zerstört worden außer meinen Illusionen. Ich selbst war intakt. Die Welt war intakt. Morgen konnte eine Revolution ausbrechen, eine Seuche, ein Erdbeben, morgen konnte nicht ein einziger Mensch übrig sein, an den man sich um Mitgefühl, um Hilfe, um Treue wenden konnte. Es schien mir, als habe das große Unglück sich schon offenbart, als könnte ich nicht wahrhaftiger allein sein als in eben diesem Augenblick. Ich beschloß, mich an nichts zu klammern, nichts zu erwarten, von nun an zu leben wie ein Tier, ein Raubtier, ein Freibeuter, ein Räuber. Sogar wenn Krieg erklärt wurde und es mein Los war mitzugehen, würde ich das Bajonett aufpflanzen und zustoßen, es hineinrennen bis zum Heft. Und wenn der Tagesbefehl Vergewaltigung lautete, dann würde ich vergewaltigen, und zwar tüchtig. War nicht eben in diesem Augenblick, im ruhigen Heraufdämmern des Tages die Erde benommen von Verbrechen und Elend? War ein einziges Element der menschlichen Natur durch den unaufhörlichen Gang der Geschichte geändert, wesentlich, grundlegend geändert worden? Durch das, was er den besseren Teil seiner Natur nennt, wurde der Mensch verraten, das ist alles. An den äußersten Grenzen seines geistigen Seins findet der Mensch sich wieder, nackt wie ein Wilder. Wenn er Gott findet, so ist er gleichsam kahlgefressen: er ist ein Skelett. Man muß sich wieder ins Leben wühlen, um Fleisch anzusetzen. Das Wort muß Fleisch werden; die Seele dürstet. Auf welchen Brosamen mein Auge auch fällt, ich will mich darauf stürzen und ihn verschlingen. Wenn es die wichtigste Sache ist zu leben, dann will ich leben, auch wenn ich Menschenfresser werden muß. Bisher versuchte ich meine kostbare Haut zu retten, versuchte ein paar Stücke Fleisch, die meine Knochen umkleiden, durchzubringen. Damit bin ich fertig. Die Grenzen meiner Geduld sind erreicht. Ich stehe mit dem Rücken zur Wand; ich kann nicht weiter zurückweichen. Geschichtlich gesehen bin ich tot. Wenn es etwas jenseits gibt, muß ich zurückspringen. Ich habe Gott gefunden, aber er ist unzulänglich. Ich bin nur geistig tot. Körperlich bin ich lebendig. Moralisch bin ich frei. Die Welt, die ich verlassen habe, ist ein Zwinger. Die Dämmerung bricht an über einer neuen Welt, einer Dschungelwelt, in der die mageren Geister mit scharfen Klauen umherstreifen. Wenn ich eine Hyäne bin, so eine magere und hungrige: ich ziehe aus, um mich zu mästen …

U m ein Uhr dreißig suchte ich Van Norden auf, wie verabredet. Er hatte mich darauf aufmerksam gemacht, falls er nicht antworten sollte, hieße es, daß er mit einem Weib im Bett läge, vermutlich mit seiner Pritsche aus Georgia.
    Jedenfalls, er war da, gemütlich eingemummelt, aber wie gewöhnlich mit einem überdrüssigen Ausdruck im Gesicht. Er erwacht und verflucht sich oder seine Arbeit oder das Leben. Er erwacht zutiefst verdrossen und zerschlagen, verärgert bei dem Gedanken, daß er nicht über Nacht gestorben ist.
    Ich setze mich ans Fenster und ermutige ihn, so gut ich kann. Das ist mühsame Arbeit. Man muß ihn tatsächlich zum Verlassen des Bettes beschwatzen. Morgens – mit morgens meint er die Zeit zwischen ein und fünf Uhr nachmittags – morgens, wie gesagt, überläßt er sich Träumereien. Meinstens träumt er von der Vergangenheit. Von

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