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Wendland & Adrian 01 - Schattenwölfe

Wendland & Adrian 01 - Schattenwölfe

Titel: Wendland & Adrian 01 - Schattenwölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Görden
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Shorts und ein sanftgrünes Shirt, das die Schultern frei ließ. Ihre Vorliebe für erdige Naturfarben hatte sie also beibehalten. Und genauso braungebrannt wie früher war sie. Erfreut registrierte er, daß sie ihre Haare wieder zu der gleichen etwas wirren, wilden blonden Löwenmähne hatte wachsen lassen wie in ihrer Teenagerzeit. Nicht mehr diese strenge Kurzhaarfrisur, die sie sich zugelegt hatte, als sie unbedingt seriöse Wissenschaftlerin werden wollte. Ganz schön mollig war sie geworden, aber er fand auf Anhieb, daß ihr das gut stand.
    Jonas schenkte sie ein leises „Hallo“ – etwas steif und zurückhaltend, was nach so vielen Jahren nicht verwunderlich war. Schöntges wurde von ihr freundlich begrüßt, Dimmig ziemlich frostig, was Jonas nicht weiter verwunderte, denn Dimmig gehörte zu denen, die ihr einst das Leben schwergemacht hatten.
    Ihre blauen Augen schauten noch immer so unbestimmt wie früher. Man wußte nie genau, ob Chris einen ansah oder in eine rätselhafte Ferne blickte. Vermutlich konnte sie heute ebensowenig wie damals sagen, was sie dort sah. Dieses Träumerisch-Versponnene an ihr hatte in der Schulzeit eine geradezu magische Wirkung auf ihn ausgeübt. Daß sie in dem Ruf stand, „irgendwie anders“ zu sein, hatte ihn nicht abgeschreckt, sondern fasziniert.
    „Kommt, ich zeige euch die Stelle“, sagte sie und ging voraus. Ihre Bewegungen wirkten ruhiger, weicher. Mollige Polster auf Schultern und Hüften, füllige Schenkel und Arme. Vor sechs Jahren war sie dünn, nervös und unglücklich gewesen. Er fand, daß diese neuen Rundungen ihr etwas Behagliches, Gemütliches verliehen.
    Erst als sie auf das Loch zeigte, wurde ihm richtig bewußt, was hier geschehen war. Das ganze Rudel entlaufen. Verdammt!
    Das Loch war sehr sorgfältig in den Zaun geschnitten worden. Jonas ging in die Hocke und betrachtete es einen Moment nachdenklich. „Ungefähr einen Meter breit und eins zwanzig hoch, schätze ich“, sagte er, während er sich wieder aufrichtete. Er schaute Chris an. „Kannst du uns diesen Mann beschreiben, den du am Telefon erwähnt hast?“
    Höchstwahrscheinlich würde sie jetzt „Hm“ sagen und nachdenklich die Unterlippe vorschieben, was sie auch prompt tat. Er mußte lächeln. Ach, verdammt!
    Sie schnaufte und schüttelte ihre Mähne. „Ich sehe ihn noch genau vor mir, weil das, was passierte, so verrückt war“, sagte sie. „Ziemlich groß und kräftig, mit schütteren roten Haaren. Altersmäßig schätze ich ihn auf irgendwas zwischen vierzig und fünfzig.“
    „Immerhin, die Beschreibung paßt nicht auf jeden. Das ist doch schon etwas“, sagte Jonas und war nicht sicher, ob Chris, die mit großen Augen in den Wald starrte und gedankenverloren eine Haarsträhne um den Finger wickelte, ihn überhaupt gehört hatte. Aber das war ihm von früher vertraut. Sie konnte von einer Sekunde zur anderen in Tagträumen versinken, oft mitten im Satz.
    „Verdammt“, sagte sie leise. „Was tun sie dort draußen? Ich verstehe das nicht. Und wieso haben sie ihre Welpen zurückgelassen? Wölfe lassen niemals ihre Welpen zurück…“
    „Und es ist wirklich das ganze Rudel weg?“ fragte Dimmig, der Förster, ungläubig.
    „Ja, das ganze Rudel, mit Ausnahme der diesjährigen Welpen“, antwortete Chris zögernd, als könne sie selbst nicht glauben, was sie da sagte.
    „Wie viele Tiere sind das denn?“ fragte Schöntges.
    „Zwanzig“, sagte Chris, etwas kleinlaut.
    „Heiliges Blech!“ ächzte Schöntges. „Zwanzig Wölfe!“
    „Jedenfalls wissen wir jetzt, wer das Reh auf dem Gewissen hat“, sagte Dimmig. „Das wird eine Menge Ärger geben. Die Wölfe werden noch mehr Rehe reißen, und Schafe, vielleicht auch Kälber, um satt zu werden. Sie müssen so schnell wie möglich zurück ins Gehege, sonst wird man sie abschießen…“
    Chris’ blonde Mähne wirbelte herum. „Sie abschießen? Nein, auf keinen Fall!“
    Ihre enge Beziehung zu Tieren und Pflanzen, zur Natur insgesamt, die andere Leute sonderbar fanden, hatte Jonas immer an Chris bewundert. Wieder mußte er lächeln, dann sagte er: „Abschießen kommt wirklich nur als letzte Notmaßnahme in Frage“, worauf Chris ihm einen dankbaren Blick zuwarf. Er betrachtete erneut das Loch im Zaun. „Etwas verstehe ich nicht: Gemessen an der Größe des Geheges ist das Loch winzig, und vermutlich ist es letzte Nacht passiert, als es dunkel war. Wie haben die Wölfe denn das Loch überhaupt gefunden? Oder kann der Mann sie

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