Wendland & Adrian 01 - Schattenwölfe
irgendwie angelockt haben, mit einer Hundepfeife vielleicht?“
Chris schüttelte den Kopf. „Wölfe kann man nicht mit einer Hundepfeife anlocken. Wahrscheinlich haben sie ihn gewittert – seinen Geruch kannten sie ja – und sind um Zaun gelaufen, um nachzuschauen. Aber warum haben sie so auf ihn reagiert?“
„Ist er vielleicht ein ehemaliger Pfleger?“ fragte Schöntges.
„Nein“, antwortete Chris. „Das habe ich schon nachgeprüft. Hier im Park hat nie jemand gearbeitet, auf den die Beschreibung paßt. Und damit die Wölfe so heftig auf ihn reagieren, hätte er sie schon selbst mit der Flasche aufziehen müssen. Doch keiner unserer Wölfe ist von Menschen aufgezogen worden. Die sind alle hier im Gehege selbständig aufgewachsen.“
Jonas blickte auf die schweigenden, in der Nachmittagssonne silbrig glänzenden Buchenstämme jenseits des Zaunes. Irgendwo dort draußen war jetzt ein Rudel von zwanzig Wölfen unterwegs. Daß der Mann die Tiere betäubt und einfach abtransportiert hatte, war eigentlich ausgeschlossen. Dann hätte es irgendwelche Spuren geben müssen, die auf einen Abtransport hindeuteten. Nein, er hatte die Wölfe offensichtlich nur befreit. Aber wozu, um alles in der Welt? Und natürlich gab es überhaupt noch keinen Beweis, daß es sich um den sonderbaren Rothaarigen handelte, der Chris gestern bei der Fütterung aufgefallen war.
„Auf jeden Fall müssen wir rasch etwas tun“, sagte Markus Dimmig. „Wie gesagt: Es wird Ärger geben, mit den Bauern, den Jägern, und Bürgermeister Honadel wird auch nicht begeistert sein. Wie reagieren diese Wölfe denn auf Menschen? Ich meine: Haben sie Angst vor uns, oder können sie gefährlich werden?“
„Ihr Fluchtreflex ist so ausgeprägt wie bei wild lebenden Wölfen. Das haben wir hier im Gehege immer wieder beobachtet“, antwortete Chris.
Sie drehte den Kopf und schaute Jonas an. „Hör mal, ich will auf keinen Fall, daß den Tieren etwas passiert. Ich bin sicher, daß sie von sich aus ins Gehege zurückkommen. Sie müssen zurückkommen, weil ihre Welpen noch hier sind. Bestimmt schon heute nacht.“
„Okay“, sagte Jonas. „Warten wir noch bis morgen früh. Ich werde den Bürgermeister informieren. Wenn die Wölfe am Morgen nicht wieder da sind, stellen wir einen Suchtrupp zusammen. Meinst du, daß man sie mit Fleischködern zurück ins Gehege locken könnte, Chris?“
„Wir können es wenigstens versuchen, bevor irgendwelche schießwütigen Jäger“ – sie warf Dimmig einen wütend funkelnden Seitenblick zu – „auf dumme Gedanken kommen. Aber das wird nicht nötig sein. Die Wölfe kehren ganz sicher heute nacht zurück. Vielleicht könnt ihr ja inzwischen diesen geistesgestörten Rothaarigen verhaften.“
„Langsam, langsam“, entgegnete Jonas, „noch wissen wir ja nicht, ob er überhaupt den Zaun aufgeschnitten hat.“
„Der Typ gehört bestimmt zu einer Gruppe von diesen radikalen Tierschützern“, sagte Dimmig. „Die machen doch in letzter Zeit immer wieder Schlagzeilen mit irgendwelchen verrückten Aktionen. Sicher flattert Jonas morgen ein Bekennerschreiben auf den Tisch, oder die haben schon längst in der Redaktion vom Eifelkurier angerufen.“
„Und der andere Mann, den du erwähnt hast, der, der dir diese Fragen gestellt hat, wie hat der ausgesehen?“ fragte Jonas.
Chris zuckte die Achseln. „Ziemlich unauffällig, würde ich sagen. Kurze, dunkle Haare. Gepflegt. Drahtig hat er gewirkt.“
„Drahtig?“
„Na ja, fit. Durchtrainiert. Sein Gang war sehr sportlich federnd. Und er wirkte nervös. Die Sache mit den Wölfen und dem Fremden schien ihn irgendwie zu beunruhigen.“
Jonas lächelte. „Du beobachtest noch so gut wie früher.“
Chris erwiderte das Lächeln. „Ist halt mein Job, Tiere sehr genau zu beobachten. Na, und Menschen sind schließlich auch große Säugetiere.“ Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: „Aber es ist ja nicht gesagt, daß da ein Zusammenhang besteht. Vielleicht war er nur ein ganz normaler Besucher. Einfach ein bißchen neugierig.“
Obwohl Chris sich ganz offensichtlich große Sorgen um die Wölfe machte, hatte sie ihm zum Abschied freundlich zugewinkt. Er hatte ihr für alle Fälle seine Bürodurchwahl und seine Privatnummer auf einen Zettel geschrieben. Während sie mit dem Streifenwagen zurück inden Ort fuhren, drehte Schöntges den Kopf, grinste Jonas an und sagte augenzwinkernd: „Alte Liebe rostet nicht, was?“
„Ach, halt die Klappe“, brummte
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