Wendland & Adrian 01 - Schattenwölfe
Jonas. Aber er merkte, daß er sich mehr über das Wiedersehen freute, als er erwartet hatte. Nach so langer Zeit.
Schöntges lachte und schüttelte den Kopf. „Mein Gott, haben sich die Leute damals über euch beide das Maul zerrissen. Was mußte sich der Sohn vom braven Gemeinderat Faber, dem angesehenen Herrn Kriminalkommissar, ausgerechnet mit diesem verrückten Mädchen einlassen, das niemand verstand! Dem unehelichen Kind dieses Flittchens. Und ihr beide wart ja wirklich unzertrennlich.“
Jonas schaute Schöntges erstaunt an. „Ich wußte gar nicht, daß du dich so genau daran erinnerst.“
„Ich bin bloß zugereister Rheinländer“, sagte Schöntges mit einem verschmitzten Lächeln. „Hab hier nie zum örtlichen Klüngel gehört. Vielleicht mag ich deshalb Außenseiter. Vielleicht bin ich bei der Polizei, um was für die zu tun, um die sich sonst keiner kümmert.“
Es klang ein wenig rührend. Aber Jonas mochte Schöntges deswegen, auch wenn der Polizeihauptmeister ein bißchen alt und schwerfällig wurde.
Schöntges schüttelte den Kopf. „Ich glaube, im Mittelalter wäre das arme Ding irgendwann auf dem Scheiterhaufen gelandet! Da kam aber auch wirklich alles zusammen: uneheliches Kind einer Mutter, die in dem Ruf stand, jedem verheirateten Mann den Kopf zu verdrehen. Und dann ihre, nun ja, etwas sonderbare Ausstrahlung, die sie zur perfekten Außenseiterin abstempelte. Herrgott, haben Thönnes und die anderen Arschlöcher ihr damals übel mitgespielt! Ein Glück, daß damals noch der alte Dr. Rosenstein Direktor vom Gymnasium war, der so einen Schwachsinn nicht mitmachte, sonst hätten sie glatt durchgesetzt, daß man sie von der Schule verwiesen und in eine Sonderschu-le gesteckt hätte, oder am Ende gar in die Klapsmühle wie ihre Mutter!“
Jonas erinnerte sich noch gut und spürte, wie die alte, hilflose Wut wieder in ihm hochstieg. Thönnes’ Tochter war eine von Chris’ wenigen Freundinnen gewesen, was dem Vater natürlich überhaupt nicht paßte. Sie war eine Zeitlang mit Chris im Wald herumgestromert und hatte wohl zu Hause ziemlich viel von ihrer verrückten neuen Freundin erzählt, die die meiste Zeit draußen in der Natur verbrachte und sich einbildete, mit Tieren sprechen zu können. Ein solches Mädchen als Freundin seiner Tochter, ein Mädchen mit abgerissener Jeans und wilden Haaren, ohne richtige Eltern, das bei einer alten Tante lebte, die selbst längst jenseits von Gut und Böse war! Und dann hatte Chris eines Tages Karola auch noch gesagt, daß ihr Vater sein Geld auf schlechte Art verdiene, weil er mit seinen Kiesgruben und Straßenbauprojekten die Erde verletze!
Thönnes hatte durchgesetzt, daß Chris in eine andere Klasse versetzt wurde, und wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte man sie ganz von der Schule geworfen.
„Ich verstehe nicht, warum Chris überhaupt zurückgekommen ist“, sagte Schöntges, „so, wie die Leute sie damals behandelt haben.“ Er lachte bitter. „Weißt du, daß damals sogar ein Bauer zu uns gekommen ist und sie angezeigt hat, weil sie angeblich sein Vieh verhext hätte? Ich weiß, es klingt unglaublich, aber wegen all dem dummen Gerede über sie war er überzeugt, sie hätte den bösen Blick und sei schuld an der Krankheit seiner Kühe.“
Jonas schüttelte ungläubig den Kopf. „Davon hat sie mir nie erzählt.“
„Sie hat es auch nie erfahren. Ich habe mich natürlich geweigert, die Anzeige überhaupt aufzunehmen, und den Kerl rausgeschmissen! Das war damals, als ihre Mutter gerade gestorben war. Da war sie, glaube ich, erst zwölf oder dreizehn. Sie ist alleine draußen herumgestreift, sie hatte ja niemanden. Bei den Viehweiden dieses Bauern gibt es auf einer Hügelkuppe einen kleinen, uralten Steinkreis. Keine Ahnung, vielleicht ist er von den Kelten angelegt worden, oder noch früher. Dort hat sie oft stundenlang gesessen, weil von dem Ort eine schöne, heilende Kraft ausging, wie sie das genannt hat. Du kennst ja ihre etwas sonderbare Ausdrucksweise.“
Jonas warf Schöntges einen erstaunten Blick zu. „Sie hat mit dir über diese Dinge gesprochen?“
Schöntges lächelte. „Damals hatte ich noch meinen Schäferhund. Mit dem bin ich gern spazierengegangen. Dabei ist sie mir öfter begegnet. Immer allein. Das war ja zwei oder drei Jahre, bevor ihr beide ein unzertrennliches Paar wurdet und du sie immer begleitet hast. Sie muß damals sehr einsam gewesen sein, ohne ihre Mutter. Irgendwie tat sie mir leid. Schließlich wußte
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