Wendland & Adrian 02 - Die Krypta
Mut machen. »Lass ihm einfach ein bisschen Zeit zum Nachdenken.«
»Hoffentlich hast du Recht. Was ... ist eigentlich mit den Tauben?«
Die Tauben? Mit denen hatte sich Susanne überhaupt nicht mehr beschäftigt.
»Keine Ahnung, ehrlich gesagt. An dem Morgen, nachdem du bei mir gepennt hattest, waren sie jedenfalls noch nicht wieder da. Seitdem hab ich nicht weiter drauf geachtet.«
Chris fing sich anscheinend wieder. Ihre Stimme klang fester. »Dass sie am anderen Morgen immer noch weg waren, ist kein gutes Zeichen. Das gefällt mir gar nicht. Du musst nachschauen, ob sie immer noch weg sind. Falls ja, würde ich die Gegend um den Dom an deiner Stelle lieber meiden.«
»Aber warum?«, fragte Susanne. Ob Tauben am Dom herumflatterten oder nicht, kam ihr ziemlich unwichtig vor.
»Vielleicht aus dem gleichen Grund, aus dem Karla unbedingt in die Krypta wollte. Da war diese sonderbare Energie, die Karla und ich gespürt haben. Vielleicht wurde Karla von dieser Energie magisch angezogen. Irgendwas Unheimliches ist da im Gange. Tiere fühlen viel eher als Menschen, wenn irgendwo Gefahr droht. Wenn in einer Gegend eine Naturkatastrophe bevorsteht, ein Waldbrand zum Beispiel oder ein Erdbeben, bringen sie sich rechtzeitig in Sicherheit. Das hat man immer wieder beobachtet.«
Susanne kuschelte sich enger auf dem Sofa zusammen und massierte mit der freien Hand ihre kalten Füße.
»Schade«, sagte Chris, »dass Karla so enden musste. Ich bin sicher, dass sie das zweite Gesicht hatte, so wie ich. Sie hätte einen guten Lehrer gebraucht, jemanden, der ihr geholfen hätte ihre Gabe zu entwickeln. Dann wäre sie vielleicht nicht zur Alkoholikerin geworden. Aber sie hatte wohl keine Chance.«
Heike Vandenberg trank Milchkaffee, kaute an einer Scheibe Toast mit Butter herum und schaute nachdenklich zum Fenster hinaus. Silbriger Morgendunst schwebte zwischen den Zedern und verlieh dem Park einen Hauch von Unwirklichkeit. Vielleicht bin ich noch nicht richtig aufgewacht, dachte sie. In den letzten Tagen schlief sie unruhig, schreckte häufig aus wirren Träumen auf, deren Bilder sich nach dem Aufwachen sofort auflösten wie flüchtiger Nebel. Tagsüber fühlte sie sich müde und angespannt zugleich.
Roland kam ins Zimmer und küsste sie auf die Wange. »Mein Engel«, sagte er. Sie spürte dem Gefühl seiner warmen Lippen auf ihr er Haut nach, während er sich Kaffee eingoss und einen Blick auf die Titelseite der Zeitung warf.
Plötzlich lief ein Zittern durch das Haus, eine leichte Vibration, die aber stark genug war, dass der Kaffee in ihren Tassen in Bewegung geriet. Roland legte die Zeitung weg, sprang abrupt auf, ging zum Fenster und schaute hinaus. Heikes Herz klopfte. »Was war das?«, fragte sie. Roland schwieg und starrte mit nachdenklich zusammengekniffenen Augen hinaus in den Park. Über der Anrichte aus dunklem, mit reichen Schnitzereien verziertem Nussbaumholz hing eine schöne alte Uhr mit Pendelgewichten, ein Erbstück von Rolands Urgroßvater. Diese Uhr lief mit unglaublicher Genauigkeit. Jetzt war sie stehen geblieben. Gerade eben.
Heike starrte verwirrt auf die Uhr, stand auf und stellte sich dicht neben Roland. »Hast du diese Vibration nicht bemerkt? Und die Uhr ist stehen geblieben.« »Hm?« Er drehte sich zu ihr um. Sein Gesicht sah leer aus, als sei er mit seinen Gedanken sehr weit fort gewesen. Das kam neuerdings häufiger vor. Vermutlich setzte der viele berufliche Stress ihm zu.
»Das war nichts. Nichts von Bedeutung.« Er ging zu der Uhr und zog sie wieder auf. »Alte Uhren bleiben ab und zu stehen. Das kommt vor.«
»Aber die Uhr ist genau in dem Moment stehen geblieben, als diese Vibration ... «
Roland lächelte, kam zu ihr und zog sie an sich. »Ach, mein esoterischer Engel. Immer siehst du überall Zusammenhänge.«
Sie küssten sich und Heike fühlte sich gleich viel besser. »Willst du denn heute in die Eifel fahren?«, erkundigte er sich.
Gestern Abend im Bett hatte Heike ihm erzählt, dass sie mit dem Gedanken spielte, in der Eifel Chris Adrian aufzusuchen, weil der Fernsehbericht sie neugierig auf diese sonderbare Schamanin gemacht hatte.
»Hab mich noch nicht entschieden«, sagte Heike, der die Idee inzwischen gar nicht mehr so gut gefiel. War es nicht sehr aufdringlich, einfach unangemeldet dort aufzutauchen? Möglicherweise war Chris Adrian gar nicht da oder hatte keine Zeit für sie. Vielleicht sollte sie besser Chris' Nummer herausfinden und zunächst einmal telefonisch mit
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