Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wendland & Adrian 02 - Die Krypta

Wendland & Adrian 02 - Die Krypta

Titel: Wendland & Adrian 02 - Die Krypta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Görden
Vom Netzwerk:
auch wenn er in seinem Abschiedsbrief schrieb, wir müssten neue Wege finden schamanisches Wissen zu nutzen.
    Eine der Voraussetzungen für ein erfolgreiches schamanisches Ritual bestand darin, dass die Motivation des Schamanen oder der Schamanin rein sein musste. Chris wusste nur zu gut, dass sie das Ritual eigentlich nicht ausführen durfte. Sie hatte Heike bewusst verschwiegen, dass sie mit der Kommissarin befreundet war, die gegen Heikes Mann ermittelte, und dass sie hoffte Susanne auf diesem Wege Informationen zu beschaffen. Natürlich tat ihr Heike Vandenberg auch Leid, aber ihr helfen zu wollen war eindeutig nicht das Hauptmotiv dafür, dass Chris das Ritual ausführte. Silver Bear hätte das gewiss nicht gutgeheißen, dachte sie. Aber Silver Bear war tot und auch Chris' Glaube an ihre eigene schamanische Bestimmung war gestorben. Sie würde Heike ein bisschen Theater vorspielen und sie dabei aushorchen, um Susanne Informationen liefern zu können. Und wenn Heike, die recht gutgläubig zu sein schien, bei dem Ritual eine positive Wirkung verspürte, umso besser. Für Chris würde es das letzte Mal sein, dass sie überhaupt irgendeines der von Silver Bear erlernten Rituale praktizierte, das stand für sie fest. In Zukunft werde ich so sein wie alle anderen, dachte sie. Vielleicht kommt Jonas zu mir zurück, wenn er erkennt, das ich künftig ganz zu seiner Welt gehöre.
    Heike - Chris hatte ihr das Du angeboten, um für eine lockere Atmosphäre zu sorgen - kam aus dem Bad und blieb schüchtern lächelnd in der Wohnzimmertür stehen. »Komm«, sagte Chris, »leg dich hierher auf die Decke.«
    Neben Chris auf dem Teppich stand ein Kassettenrekorder. Sie schob eine Kassette hinein. »Eigentlich brauchten wir jemanden, der die Trommel dort schlägt.« Sie deutete auf eine Schamanentrommel, die neben dem Fernseher an der Wand hing. »Aber zur Not tut's auch eine Kassette.«
    Sie forderte Heike auf sich auf den Rücken zu legen und die Augen zu schließen. Dann nahm sie ihre Kürbisrassel, die sie einst selbst gebastelt und so, wie es ihr von Silver Bear gezeigt worden war, mit roten Sternen und blauen Ringen bemalt hatte. Sie schüttelte die Rassel je viermal in die sechs Richtungen: Nord und Süd, Ost und West, Himmel und Erde. Dann schaltete sie den Rekorder ein. Dumpfe, sich rasch steigernde Trommelschläge erfüllten das dämmrige Wohnzimmer. »Ich werde jetzt mein Krafttier herbeirufen, die Bärin«, sagte Chris, »und dann mit ihrer Hilfe in die Geisterwelt reisen, um dort dein Krafttier zu finden und es für dich zurückzuholen.«
    Die Trommelklänge auf der Kassette beschleunigten sich auf jenen Rhythmus von etwa hundertachtzig Schlägen pro Minute, der es dem Schamanen erleichterte, in einen leichten Trancezustand überzuwechseln. Aber Chris hatte überhaupt nicht die Absicht in die schamanische Trance zu gelangen. Das lag für immer hinter ihr. Vermutlich würde Heike überhaupt nicht bemerken, dass Chris ihr nur etwas vorspielte.
    Eigentlich hätte Chris aufstehen und wie eine wilde Bärin durchs Wohnzimmer tanzen und dazu heftig die Rassel schütteln müssen, um ihr Krafttier herbeizurufen. Aber sie hatte den Bauch voller Kuchen und keine große Lust sich zu bewegen. Vermutlich wusste Heike ohnehin nicht, wie ein Krafttier-Ritual richtig ausgeführt werden musste, sodass es sowieso keine Rolle spielte.
    Also blieb Chris behäbig auf ihrem Kissen sitzen, schüttelte die Rassel, wiegte lediglich schwerfällig den Oberkörper hin und her und stieß ein paar Brummlaute aus, von denen sie glaubte, dass sie einigermaßen bärenähnlich klangen. Nachdem sie das, wie sie fand, lange genug gemacht hatte, glitt sie von dem Kissen herunter und legte sich dicht neben Heike auf den Boden, sodass sie einander an Schulter und Hüfte berührten. Bei einem ernsthaft ausgeführten Ritual hätte sie gespürt, wenn dieser Moment gekommen war, der Moment, in die Geisterwelt zu reisen, ihr Körper hätte es ihr angezeigt, durch ein Frösteln oder Erschauern angesichts der Gegenwart der Geister. Jetzt tat sie es einfach vom Verstand her.
    Sie schüttelte noch einmal kräftig die Rassel über ihrer Brust und legte das Instrument dann weg. Nun hätte sie den Tunnel sehen müssen, durch den sie hinab in die Geisterwelt reisen konnte, sie hätte die Gegenwart ihres Krafttieres spüren müssen. Wenn sie ans andere Ende des Tunnels gelangt war, hätte sie die Seelenlandschaft ihrer Patientin deutlich vor Augen sehen müssen, diese

Weitere Kostenlose Bücher