Wendland & Adrian 03 - Nachtauge
gebaut.
»Warum sind wir so lange blind gewesen?«, fragte Torn traurig. »Warum mussten Milliarden Menschen sterben und so viele Planeten zerstört werden, ehe wir bereit waren unsere Herzen für dieses Wissen zu öffnen?« Der ganze Schmerz seiner Generation, der Generation der wenigen Überlebenden, spiegelte sich in seinem Gesicht wider. Er wandte sich ab, um Carim zu schonen.
»Ich weiß es nicht«, sagte Carim leise. »Die Landung auf dem Planeten der Zuflucht steht nun kurz bevor. Geh hinunter und sage den anderen Bescheid. Sie sollen sich vorbereiten. Ich werde meine ganze verbleibende Kraft benötigen, um euch heil hinunterzubringen.«
Er nickte, küsste sie zärtlich auf ihre von den entzündeten Malen der Krankheit entstellte Wange und verließ die Kanzel.
Inzwischen füllte der Planet der Zuflucht fast das ganze Fenster aus. Carim schloss einen Moment die Augen, um sich von ihrem Herzen zu dem richtigen Landeplatz führen zu lassen. Heilige Galaxie, betete sie, lass mich dir lange genug dienen, um dieses Schiff sicher zu landen. Lass meine Kräfte nicht zu früh schwinden.
Carim hatte erfahren, dass es auf dem Planeten der Zuflucht bereits andere Siedler gab. Wenige, zum Glück. Es war unbekannt, von welchen Planeten sie stammten und ob sie dem Weg der Liebe folgten. Carim hoffte es inständig für ihr Volk. Sie hatte gehört, dass diese Siedler auf dem Kontinent gelandet waren, der zu einem großen Teil in der südlichen Hemisphäre lag und nördlich des Äquators von einem lang gezogenen Meer begrenzt wurde. Afrika, dachte Chris. Darum steuerte Carim den auf der anderen Seite des Planeten liegenden Doppelkontinent an, und zwar dessen obere Hälfte, die bis weit hinauf in die Polarregion der nördlichen Hemisphäre reichte, weit von jener anderen Landmasse entfernt. Chris wurde klar, dass es sich um einen Teil der heutigen Vereinigten Staaten handelte. Das Gebiet der großen Ebenen und der Rocky Mountains.
Das Schiff tauchte in die Lufthülle des Planeten ein. Ein feiner, vom großen Kraftkristall ausgehender energetischer Schirm schützte den Rumpf vor der Reibungshitze. Die Weltraumnacht machte silbrigen Wolkenschleiern Platz, die vom Bug des Schiffes zerteilt und verwirbelt wurden. Dann sah Carim mit fiebrig brennenden Augen tief unten einen großen Ozean mit weißen Schaumkronen auf hohen Wellen und die Linie einer Küste.
Beim Anblick all dieses herrlichen Wassers fühlte sie sich innerlich schrecklich ausgetrocknet von dem quälenden Fieber und sehnte sich danach, ein einziges Mal in diesem Meer schwimmen oder wenigstens ihre Füße hineintaucheh zu können, ehe sie starb.
Die Küste wurde rasch größer. Carim konnte immer mehr Einzelheiten des Festlandes erkennen. Es gab große Wälder, dazwischen weite Prärien. Es gab Seen und Flüsse. Große Tierherden durchzogen die Prärien. In der Ferne schimmerten schneebedeckte Berggipfel. Der Planet der Zuflucht war schön. Wunderschön.
Das Schiff darf nicht zu tief sinken, dachte sie. Sie spürte, wie schwach sie bereits war und kämpfte einen Moment gegen die in ihr hochsteigende Panik an. Nicht jetzt versagen, so kurz vor dem Ziel.
Doch die Liebe in ihrem Herzen war stark. Sie spürte die Gebete der Menschen im Rumpf des Schiffes, deren Überleben ganz allein von Carim abhing. Die Liebe verband Carim und ihr Schiff mit dem galaktischen Zentrum, um das alle Welten kreisten.
Allein mit ihrer Imagination und sanften Willenskraft, die sie auf den Steuerkristall übertrug, gelang es ihr, das Schiff abzufangen. Sie brachte es in eine horizontale Lage und fand einen geeigneten Landeplatz am Rand des Graslandes, wo die dichten Wälder nicht weit entfernt waren und klares Süßwasser von den Schneebergen herabströmte. Hier konnte ihr Volk leben.
Eine Herde großer, dunkelbrauner Tiere mit gebogenen Hörnern flüchtete, als Carims Schiff über dem Grasland heranschwebte und dann sanft aufsetzte. »Danke«, hauchte Carim mit letzter Kraft und sank bewusstlos im Pilotensitz zusammen.
Als sie mühsam ihre entzündeten Augen öffnete, ruhte ihr Körper auf einem Lager am Rand des Graslandes, im Schatten hoher Bäume. Torn saß bei ihr und hielt ihre Hand. Carim drehte ihren Kopf, in dem der Fieberschmerz brannte wie tausend Nadelstiche, und schaute hinaus in die Weite der Prärie, auf ein wogendes Meer aus hohem Gras. Dann atmete sie den von der anderen Seite heranwehenden Duft des Waldes ein. Die Luft war gut. Sauber und frisch. Doch in Carims von
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