Wendland & Adrian 03 - Nachtauge
immer wieder Dinge, die einem buchstäblich den Boden unter den Füßen wegzogen ...
Sie berichtete Chris von den mysteriösen Umständen, unter denen Sempold gestorben war, während sie den Landy wieder beschleunigte, der brummend die kurvenreiche Steigung südlich von Buchfeld erklomm.
Als Susanne fertig war, sagte Chris leise: »Da steckt irgendein tieferer Sinn dahinter. Ein Rätsel, das wir lösen sollten. Ich glaube, es ist wichtig. Was hatte dieser Jaguar in der Ölraffinerie zu suchen, wo er so gar nicht hingehört?« Sie schwieg gedankenversunken.
Susanne schnippte ihren Zigarettenstummel auf den Asphalt, ehe sie von der Landstraße in den schmalen, nur mit Schotter befestigten Waldweg einbog. Bald kam das kleine, ganz aus Holzbohlen gebaute Jagdhaus in Sicht, das gut in die endlosen kanadischen Wälder gepasst hätte, wo Chris vor Jahren bei Silver Bear in die Lehre gegangen war.
Mister Brown sprang ihnen bellend entgegen. Jonas saß auf der Veranda und winkte. Irgendwie wollte sich Sempolds aufgerissene Kehle in das idyllische Bild schieben. Susannes Magen krampfte sich schmerzhaft zusammen. Zu viel Nikotin, dachte sie, die ganze Woche hindurch zu viel Nikotin.
Der Landy verstummte. Susanne sah, dass Jonas draußen in der Frühlingssonne den Tisch gedeckt hatte, und aus der Küche drangen erfreuliche Gerüche. Mister Brown sprang an Susanne hoch und wollte erst einmal kräftig im zotteligen braunen Fell gekrault werden. »Na! Nicht hochspringen!«, rief Chris.
Dann wurde Susanne von Jonas freundschaftlich lächelnd umarmt.
»Und, was macht eure ländliche Kriminalstatistik?«, erkundigte sie sich. Jonas war Hauptkommissar wie sie und leitete, seit er sich in seine Heimat hatte zurückversetzen lassen, die Buchfelder Polizeidienststelle.
Er grinste. »Wenn wir nicht gerade Disco-Raser von Bäumen und Leitplanken kratzen, beschäftigen wir uns hauptsächlich damit, Kreuzworträtsel zu lösen.« Das Grinsen wurde breiter. »Ich habe also viel Zeit Chris im Garten zu helfen.«
Susanne warf einen Blick auf den Gemüsegarten, der in der Tat sehr groß und üppig wirkte. Die beiden hatten offenkundig kräftig darin gearbeitet. Eine der zwei Katzen sonnte sich auf dem Verandageländer und die Hühner glucksten leise vor sich hin. Die Hektik und der Lärm Kölns schienen Lichtjahre entfernt zu sein.
Als Jonas, der Kochwoche hatte, das Essen brachte (die beiden wechselten sich von Woche zu Woche ab, eine gute Lösung, wie Susanne fand), hatte sich Susannes Magen zum Glück wieder beruhigt. Es gab Pfannkuchen, gefüllt mit Gehacktem, Pilzen und Zwiebeln, dazu eine riesige Schüssel herrlich frischen und knackigen Salat. Während sie aß, ließ Susanne den Blick schweifen und genoss die Sonne. Unterhalb der Lichtung murmelte der Bach leise vor sich hin, sanft rauschte das Blättermeer des Waldes im Wind und da war eine Vielzahl von Vogelstimmen. »Auf die Gefahr hin mich zu wiederholen: Ihr habt’s wirklich schön hier«, sagte Susanne.
Chris nickte. »Wenn ich morgens aus dem Fenster gucke, kommt’s mir manchmal immer noch wie ein Traum vor. Dabei lebe ich jetzt schon anderthalb Jahre hier. Es ist ein Ort, wie ich ihn mir immer als Zuhause gewünscht habe. Manchmal denke ich: Womit verdiene ich das eigentlich?«
Susanne spürte, wie aller Stress von ihr abfiel. So ging es ihr jedes Mal, wenn sie bei Chris zu Besuch war. Schon nach ein paar Minuten hatte sie das Gefühl frei durchatmen zu können. Sie lächelte. »Jeder Mensch verdient es, glücklich zu sein.«
Wegen der zwei im Auto gewissermaßen als Vorspeise verputzten Teilchen verkniff sich Chris den Nachtisch, der aus einer mit viel frischer Sahne angerichteten Quarkspeise und Früchten bestand. Sie schaute aber mit ziemlich langer Nase zu, wie Jonas und Susanne ihre Portionen weglöffelten. »Lasst mir ein bisschen was übrig für heute Nachmittag«, grummelte sie. Jonas und Susanne zwinkerten sich grinsend zu.
Chris tauchte prustend aus den Fluten auf und schüttelte Wassertropfen ab, eine in der Nachmittagssonne funkelnde Fontäne. Sie winkte Susanne zu, die quer durch den See gekrault war. Der Waldsee war nicht sehr groß, maß an seiner breitesten Stelle ungefähr sechzig Meter im Durchmesser. In der Mitte war er aber gut zehn Meter tief und er wurde von einer Quelle gespeist, sodass sein Wasser sehr klar und frisch war. Wenn man von einem der Hügel auf ihn herabschaute, leuchtete er wie ein riesiges Juwel. Und auch er gehörte zu dem
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