Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wendland & Adrian 03 - Nachtauge

Wendland & Adrian 03 - Nachtauge

Titel: Wendland & Adrian 03 - Nachtauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Görden
Vom Netzwerk:
gebliebene Kleinstädtchen hinein.
    Chris, breit und rund in Jeans und indianisch buntem Shirt, winkte. Susanne hängte ihren Rucksack über die Schulter und sprang auf den Bahnsteig wie eine Eisenbahnräuberin mit ihrer Beute. »Olé!«
    »Nicht schießen!«, quietschte Chris und dann warfen sich fast zwei Zentner wilde, sonnengebräunte, nach Wald und Tieren riechende Schamanin auf Susanne.
    »He!«, keuchte Susanne. »Wenn du mich gleich hier auf dem Bahnsteig erdrückst, wird das ein kurzes Wochenende!«
    Chris ließ locker und schob Susanne auf Armeslänge von sich. »Siehst ein bisschen müde aus. War ’ne harte Woche, hm?«
    »Die Zahl der Leichen hielt sich in erträglichen Grenzen. War aber ’ne besonders merkwürdige dabei. Von der erzähl ich dir später. Hier. Hab dir was mitgebracht.« Sie bückte sich und zog eine große Bäckereitüte aus ihrem Rucksack. Bei Susanne um die Ecke gab es die Bäckerei Vossen, deren Teilchen Chris heiß und innig liebte. Wenn sie bei Susanne zu Besuch war, stürzte sie zuallererst dort hinein.
    »Oh! Von Vossen!« Chris strahlte und spähte sofort neugierig in die Tüte. »Gleich vier Teilchen! Pudding, Mohn, Kirschstreusel und ’ne Rosinenschnecke! Danke!«
    Chris’ offenes, etwas kindliches Gesicht war wie alles andere an ihr rund geworden. Doch Susanne fand es mit seinen leuchtenden, hellwach funkelnden Augen wunderschön. Auch das Doppelkinn. Alles fügte sich irgendwie harmonisch zusammen, sodass es Freude machte, dieses Gesicht anzuschauen. Ihr blondes Haar trug Chris weiterhin kurz, mit dem kleinen geflochtenen Zopf, der lustig in die Stirn baumelte.
    Sie gingen zu dem vor dem altertümlichen Minibahnhof parkenden Landcruiser. Susanne musterte die Rundungen ihrer Freundin prüfend. »Eigentlich weiß ich gar nicht, ob ich dir mit dem süßen Zeug einen Gefallen tue.« Immerhin, seit einigen Monaten nahm ihre beste Freundin nicht weiter zu. Allerdings auch kein Gramm ab.
    »Pff«, machte Chris. »Mir geht’s gut. Ich glaube, ich habe mein persönliches Idealgewicht erreicht.« Es klang trotzig. Sie befühlte ihren gut gepolsterten Bauch. »Na ja, es gibt auch Tage, da fühle ich mich furchtbar fett. Aber es ist wohl Teil meiner Bestimmung, dass ich so rund geworden bin. Und du? Rauchst du immer noch zwei Schachteln am Tag?«
    Die Retourkutsche! Na, ich bin selbst schuld, dachte Susanne, schließlich habe ich angefangen. »Der Marder scheint machtlos dagegen zu sein«, sagte sie. Chris hatte vor einiger Zeit eine Krafttier-Zeremonie für Susanne durchgeführt. Dabei hatte sie sich, wie sie es nannte, auf eine schamanische Reise in die Geisterwelt begeben – jenen geheimnisvollen Bereich, von dem Susanne nicht wusste, ob er wirklich existierte oder ob Chris sich das nur einbildete. Dort hatte sie für Susanne einen Marder als Krafttier gefunden. Nun, völlige Einbildung konnte es nicht gewesen sein, denn nach jener Zeremonie war der Marder eine Zeit lang auffallend häufig durch Susannes Träume gehüpft und geklettert und mit seiner Hilfe war es ihr tatsächlich gelungen, fast fünf Monate nicht zu rauchen. Doch damit schienen sich seine Kräfte erschöpft zu haben.
    »Vielleicht ist er ganz einfach zu klein«, meinte Chris nachdenklich. »Du brauchst ein größeres Krafttier. Eines, das es mit deinem inneren Nikotin-Dämon wirklich aufnehmen kann.«
    »Ich fürchte«, sagte Susanne resigniert, »das müsste schon ein Elefant sein. Oder besser ein Pottwal.«
    Chris lachte. Dann breitete sie die Arme aus. »Ach was, reden wir nicht mehr von unseren Süchten! Es ist so ein herrlicher Tag. Strahlend blauer Himmel und das Wasser im Waldsee ist okay. Brrr! Frisch! Aber okay! Hab’s gestern getestet.«
    Susannes Stimmung hellte sich sofort auf. Chris hielt ihr den Schlüssel des Landcruisers hin. »Fährst du? Dann kann ich unterwegs ...« Sie hob die Bäckereitüte.
    »Alter Vielfraß!« Susanne musste lachen, nahm den Schlüssel und erklomm den Fahrersitz des urigen, hochbeinigen Gefährts mit den riesigen Rädern. Sie klappte die quietschende Fahrertür zu und thronte erhaben hinter dem Lenkrad. Hier drinnen war alles sehr vorsintflutlich und kantig und verstieß vermutlich gegen sämtliche in den letzten Jahren aufgestellten Crashtest-Normen, aber Chris liebte ihren »Landy«.
    Susanne hatte lange Jahre einen alten Käfer am Leben erhalten, ihn immer wieder vor der Schrottpresse gerettet und teilte Chris’ Vorliebe für urtümliche Autos. »Mm. Womit fange ich

Weitere Kostenlose Bücher