Wendland & Adrian 03 - Nachtauge
Begriff, unter dem sich Tönsdorf bis heute nichts Rechtes vorstellen konnte, Susannes überaus sonderbare, pummelige Freundin aus der Eifel, damals den Dom gerettet. Sonst hätte Tönsdorf auf der Stelle wieder zu saufen angefangen. Köln ohne den Dom – eine apokalyptische Vorstellung!)
Dabei waren die beiden, Susanne und der Chef, wie geschaffen füreinander. Daran bestand für Tönsdorf nicht der geringste Zweifel. Immerhin hatte er drei gescheiterte Ehen hinter sich und wusste inzwischen aus leidvoller Erfahrung, welche Paare auf keinen Fall zusammenpassten! Nur bemerkten die beiden in ihrer üblichen beruflichen Umgebung irgendwie nicht, welches Liebes-Potenzial zwischen ihnen ungenutzt brachlag. Es kam also darauf an, endlich eine Situation herbeizuführen, in der Susanne und Antweiler einander privat entdecken konnten. Und Tönsdorf hatte da eine Idee ...
Es klopfte an der Tür. An diesem Morgen hütete Tönsdorf die Abteilung allein, da Susanne und Torsten als Zeugen der Staatsanwaltschaft bei Gericht erscheinen mussten. Ein junger Mann von achtzehn oder neunzehn Jahren steckte den Kopf herein. Er kam Tönsdorf bekannt vor. »Ja, bitte?«
»Wir kennen uns bereits«, sagte der Besucher. »Erinnern Sie sich? Ich bin Mario Eberhard. Ich arbeite zurzeit bei Direktor Felten in der Ölraffinerie.«
Jetzt fiel bei Tönsdorf der Groschen. Natürlich. Der Junge, der den Raffineriedirektor mit »Onkel Arne« angeredet hatte. Ein wenig blass und übernächtigt sah er aus. Dunkle Schatten unter den Augen. Ein schlanker, eher kleinwüchsiger Junge. Schwarzes Haar. Etwas südländischer Typ. Vielleicht stammte ein Elternteil aus Spanien oder Italien, was ja heute nicht selten vorkam. Tönsdorf hegte da keinerlei Vorbehalte. Er liebte die Mittelmeer-Atmosphäre und die dortige Küche. Auf den Wein musste er ja leider inzwischen verzichten.
»Eigentlich hatte ich gehofft, dass die freundliche Kommissarin zu sprechen wäre ... wie heißt sie noch gleich?«
»Hauptkommissarin Wendland. Ja, die ist wirklich nett. Nur hat sie leider gerade einen Gerichtstermin. Aber der gute, alte Tönsdorf frisst auch niemanden, jedenfalls nicht nach dem Frühstück. Wollen Sie nicht Platz nehmen?« Er deutete auf den betagten Stuhl vor seinem Schreibtisch und setzte sein gemütliches, Schüchternheit abbauendes Onkel-Lächeln auf. Im Lauf der Jahre hatten auf diesem Stuhl schon viele arme Sünder gesessen (an denen es Köln ja nicht mangelte).
Mario setzte sich. Seine Beine bewegten sich nervös und er schien nicht zu wissen, wohin mit den Händen.
»Wie war’s mit einem Kaffee? Oder, da’s heute recht warm ist, vielleicht ein kühler Sprudel?«
»Nein, danke.«
»Passieren ja wirklich schlimme Sachen da draußen bei euch. Schon der zweite Tote! Trauen sich die Arbeiter denn überhaupt noch zur Schicht?«
»Also - deswegen bin ich gekommen. Da ist etwas, was ich ... worüber ich sprechen möchte.« Mario Eberhard zögerte. »Wird es noch sehr lange dauern, bis die Kommissarin ...«
Tönsdorf schaute auf die Uhr. »So eine halbe Stunde, schätze ich.« Er lächelte aufmunternd. »Wissen Sie, wir arbeiten in dieser Abteilung eng und vertrauensvoll zusammen.« So war es in der Tat, darum fühlte er sich ja auch so wohl hier. »Wollen Sie mir nicht erzählen, was Sie auf dem Herzen haben? Auch wenn ich es natürlich an gewinnendem Charme nicht mit meiner Chefin aufnehmen kann.«
Jetzt huschte zum ersten Mal ein kleines Lächeln über Marios angespanntes Gesicht. »Ich nehme an, Sie halten es für schrecklich unhöflich, dass ich Ihnen gegenüber schweige. Aber ich würde doch sehr gerne mit der Frau Kommissarin sprechen. Sie hat so eine Art, die es einem leichter macht zu reden.«
Die besaß Susanne in der Tat, aber auch Tönsdorf bildete sich einiges auf seine Begabung als vertrauenswürdige Onkel-Figur ein, der junge Leute beiderlei Geschlechts gerne ihre Geheimnisse anvertrauten. In der Regel erzielte er damit bei Vernehmungen ausgezeichnete Resultate. Dass Mario seine diesbezüglichen Qualitäten nicht zur Kenntnis nahm, kränkte ihn ein wenig. Aber möglicherweise besaß der Junge irgendwelche wertvollen Informationen; besser also, man erfüllte ihm seinen Wunsch, als dass er ärgerlich und verstockt wurde. Sollte er halt auf Susanne warten, wenn er unbedingt wollte.
»Schon in Ordnung. Kommen Sie.« Er führte Mario nach nebenan ins Vernehmungszimmer. »Warten Sie bitte hier. Ich sage Frau Wendland Bescheid, sobald sie
Weitere Kostenlose Bücher