Wendland & Adrian 03 - Nachtauge
fragte er und beugte sich interessiert vor.
Mario nickte. »Ja. Sie und Roger.«
»Roger?«
»Das ist ein Freund meiner Adoptiveltern. Ein Amerikaner. Ich habe ihn vorigen Sommer kennen gelernt. Da war er für drei Wochen bei ihnen in München zu Besuch. Er war richtig nett zu mir.« Mario zuckte die Achseln. »Eigentlich fast noch ein bisschen netter als Onkel Arne. Er und die Eberhards kennen sich von früher, aus Belize. Seither hat Roger mir ein paar Mal Postkarten geschickt. Nette, witzige Postkarten. Er ist Geschäftsmann und plant mit einem Freund zusammen in Belize ein großes Hotel zu bauen. Es soll zugleich ein spirituelles Zentrum werden, das von der Form her einer Maya-Pyramide ähneln soll. Er hat mir voriges Jahr die Pläne gezeigt. Echt interessant.«
Chris fand, dass Jonas jetzt ein bisschen wirkte wie ein Jagdhund, der Witterung aufnahm. Sie musste unwillkürlich lächeln.
Freundlich, im Plauderton, sagte Jonas: »Hotel und spirituelles Zentrum. Aha? Bemerkenswerte Kombination.«
»Ja, finde ich auch. Roger hat mir angeboten an dem Projekt mitzuarbeiten. Darüber denke ich ernsthaft nach. So könnte ich meine Heimat wieder sehen.«
»Spiritueller Tourismus, sozusagen.«
Mario nickte. »Ist doch keine schlechte Idee. Roger hat mir erzählt, dass im Jahr 2012 ein Zyklus des Maya-Kalenders endet. Angeblich soll dann ein neues Zeitalter beginnen und in den Jahren vorher sollen im Land der Maya alle möglichen spirituellen Offenbarungen stattfinden. Da werden dann viele Eso-Freaks aus aller Welt in den Dschungel von Belize reisen.«
Jonas grinste. »Clever, dein Freund Roger. Glaubt er denn selber auch an diese Prophezeiungen?«
Mario erwiderte das Grinsen. »Ich denke, er glaubt vor allem an das Geld, das sich dort verdienen lässt. Er ist eben Geschäftsmann. Komisch finde ich allerdings ...« Er zögerte. »Na ja, sie wollten nicht, dass ich Onkel Arne von Roger erzähle. Ich musste es meinem Adoptivvater versprechen.«
»Tatsächlich? Warum denn das?«
»So ganz genau haben sie’s mir nicht erklärt. Sie kennen sich alle aus Belize. Aber ich habe nie so recht herausbekommen, was sie dort getrieben haben. Es muss viele Jahre her sein. Jedenfalls hat Onkel Arne seit damals offenbar einen Hass auf Roger, was ich nicht verstehe, weil der doch eigentlich ein prima Kerl ist. Mein Adoptivvater ist nun in der schwierigen Situation, dass er mit beiden gut befreundet ist. Vermutlich würde Onkel Arne ziemlich wütend werden, wenn er erfährt, dass Roger bei den Eberhards gewohnt hat und ich mich mit ihm angefreundet habe.«
Chris lauschte mit zunehmender Faszination. Wenn die rätselhafte göttliche Vorsehung es mir nicht bestimmt hätte, Schamanin zu sein, wäre ich bestimmt Detektivin geworden, dachte sie. Vielleicht habe ich ja deshalb auch einen Kriminalisten als Allerliebsten und eine Kriminalistin als beste Freundin. Weil das so kribbelnd faszinierend und spannend ist! Ihr schamanisches Unbehagen war vorübergehend vergessen. Die Sonne war untergegangen. Draußen wurde es allmählich dunkel. Chris stand auf und schaltete das Licht in der Küche ein.
»Was soll ich machen?«, sagte Jonas und klopfte Mario jovial auf die Schulter. »Ich bin nun mal Kripokommissar. Ein alter Schnüffler eben. Ist meine zweite Natur. Das ist hier natürlich kein Verhör. Du musst mir nichts erzählen, das du lieber für dich behalten möchtest, aber für mich sieht’s stark danach aus, als würden da ein paar Leute einiges vor dir verheimlichen. Nicht, dass ich Herrn Felten oder deine Adoptiveltern schlecht machen will. Bestimmt sind das ehrenwerte Leute. Zumal sie bestimmt immer nett zu dir waren. Aber etwas sonderbar ist das Ganze schon, oder nicht?«
Chris war zufrieden mit ihrem Jonas. Columbo hätte es nicht besser machen können.
»Na ja, jetzt wo ich erwachsen bin, denke ich viel mehr über all das nach. Dass sie mir nie etwas erzählen wollten, ist schon komisch, das stimmt. Natürlich mag ich sie und ich bin ihnen dankbar für alles. Aber ich weiß nichts über sie - und nichts über mich.« Plötzlich wurde Marios Gesicht traurig. »Irgendwie stelle ich mir vor, dass das mit leiblichen Eltern und Verwandten anders ist. Ich meine, dass es da offener zugeht.«
Jonas nickte. »Leibliche Eltern hat man einfach. Da gibt es nicht so ein krampfiges Gefühl von Dankbarkeit, das dich daran hindert, unangenehme Fragen zu stellen. Ist es das, was du meinst?«
Mario seufzte. »Ja, so ungefähr.«
»Kann ich
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