Wendland & Adrian 03 - Nachtauge
gut nachvollziehen. Eins verstehe ich aber nicht. Du hast vorhin gesagt, dass dein Adoptivvater sich quasi von Arne Felten vorschreiben lässt, mit wem du Umgang pflegen darfst. Oder warum hätte er das mit Roger sonst verheimlichen sollen? Er ist aber doch schließlich für deine Erziehung zuständig oder war es jedenfalls bis zu deiner Volljährigkeit. Wieso lässt er sich da von Onkel Arne reinreden? So was würde ich mir verbitten, wenn ich Erziehungsberechtigter wäre.«
Mario verzog das Gesicht. Chris sah ihm an, dass Jonas ganz offensichtlich einen wunden Punkt getroffen hatte. Vielleicht war es ein Fehler, den Jungen so zu löchern. Aber Jonas schien genau zu wissen, was er tat.
Mario schaute unsicher zwischen Chris und Jonas hin und her. »Ich weiß gar nicht, ob ich mit euch darüber sprechen soll. Ob euch das überhaupt etwas angeht.«
Jonas lächelte aufmunternd. »Das musst du natürlich nicht, wenn du nicht willst. Vergiss die Frage einfach.«
Natürlich konnte Mario die Frage nicht vergessen, jetzt wo sie im Raum stand. »Geld, glaube ich«, sagte er leise, stockend. »Darüber wurde nie offen gesprochen, aber ich habe doch das ein oder andere mitbekommen.«
»Arne Felten hat deinen Adoptiveltern Geld gegeben?«
Mario nickte. Chris sah, dass seine Lippen zu zittern begannen. »Er hat es ermöglicht, dass ich in München auf ein teures Privatgymnasium gehen konnte. Aber ... nicht nur das. Da ist das schöne Haus in Pasing. Die Eberhards hatten mit ihren Geschäften keine besonders glückliche Hand. Ich glaube, dieses Leben konnten sie sich nur leisten, weil ...«
Jetzt standen ihm Tränen in den Augen. »... Onkel Arne hat sie dafür bezahlt, dass sie meine Eltern waren. Ja, ich glaube, so war es!«
Jonas nickte und warf Chris einen vielsagenden Blick zu.
Sie fand, dass er Mario erst einmal nicht weiter zusetzen solle, und wollte das gerade laut aussprechen, als zweierlei geschah: Das Unbehagen, das sie für eine Weile verdrängt hatte, meldete sich plötzlich mit geradezu schmerzhafter Wucht zurück. Ihr Bauch krampfte sich zusammen, als wollte ihr Körper sie an ihre schamanischen Pflichten erinnern. Sie musste eine weitere Trancereise mit Mario machen, und zwar schnell. Sie spürte etwas Dunkles, eine Gefahr, ohne sie klar benennen zu können. Und Mister Brown winselte leise, stand auf und rieb seinen Kopf an Jonas’ Hosenbein.
»Ah, ich glaube, er muss mal«, sagte Jonas.
Chris zwang sich zur Ruhe. »Mario«, sagte sie mit freundlicher Stimme. »Das war sicher gerade nicht leicht für dich. Trotzdem würde ich gern einen zweiten Versuch machen. Noch mal in die Geisterwelt reisen. Jetzt gleich. Ich glaube, es ist wichtig.«
Mario schluckte und wischte die Tränen weg. »Ich will ja selbst die Wahrheit herausfinden. Irgendwie hab ich geahnt, dass das nicht angenehm wird. Zumal ich immer noch nicht weiß, was das alles mit meinen Träumen zu tun hat. Mit dem schwarzen Jaguar. Also gut, versuchen wir’s noch mal.«
»Was ist, wenn Onkel Arne nach Hause kommt?«, fragte Jonas. »Könnte der was dagegen haben?«
Mario schaute auf die Uhr. »Er arbeitet fast immer bis elf, halb zwölf drüben in der Raffinerie im Büro. Und nachher trinkt er oft noch mit den Technikern der Nachtschicht Kaffee.«
»Gut. Ich mach derweil mit dem Hund einen Spaziergang«, sagte Jonas. Er zeichnete mit dem rechten Zeigefinger einen Kreis über seiner Schläfe. »Ein bisschen philosophieren.«
Jonas ging mit Mister Brown an der Leine zur Straße vor und schaute sich dort einen Moment um. Stellen, wo ein Hund diskret etwas fallen lassen konnte, gab es entlang der Straße nur wenige und Feltens Garten wollte Jonas dazu nicht zweckentfremden. Schließlich beschloss er, sich nach rechts zu wenden. Es war inzwischen dunkel. Im Licht der Straßenlaterne sah Jonas einen silbernen Opel Vectra mit zwei Männern darin am Bürgersteig parken, die er fachkundig als die Zivilstreife identifizierte, die Susanne angefordert hatte. Jonas bog in die am feltenschen Grundstück entlangführende Seitenstraße ein.
Entweder hatte Felten dem Jungen gegenüber eine ganze Wagenladung voll schlechtem Gewissen, oder es ging darum, Mario unter Kontrolle zu behalten, damit er nicht in Dingen herumwühlte, die Felten und vermutlich auch die Eberhards nicht gerne ans Tageslicht kommen lassen wollten. Jonas erschien erstere Möglichkeit erheblich wahrscheinlicher. Es gab gewiss genug Möglichkeiten, einen kleinen Waisenjungen in Belize
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