Wendland & Adrian 03 - Nachtauge
einnahm.
»Werben Sie mir den Jungen nicht ab«, sagte Felten mit spielerisch-mahnend erhobenem Zeigefinger. »Ich setze große Stücke auf ihn.«
Onkel Arne? Offenbar handelte es sich bei Felten um einen sehr nahen Freund von Marios Eltern. Susanne schenkte dem Jungen aber keine weitere Aufmerksamkeit, sondern konzentrierte sich nun auf Krupka, der sich unter ihrem Blick sichtlich unbehaglich fühlte.
»Ist es nicht etwas ungewöhnlich, dass der Leiter des Werkschutzes nachts persönlich Wache schiebt?«, fragte Susanne.
»Das stimmt«, sagte Krupka. Susanne ins Gesicht zu sehen, schien eine ziemliche Anforderung für ihn darzustellen. »Normalerweise habe ich nur Rufbereitschaft. Aber ich musste einspringen, weil zwei meiner Leute krank sind. Und jetzt ... fehlen gleich drei!«
»Herr Krupka ist ein sehr gewissenhafter Mitarbeiter. Er erledigt seine Arbeit ausgezeichnet.« Feltens Lächeln erinnerte Susanne an Robert Redford in seinen besseren Jahren.
»Selbstverständlich. Das bezweifle ich nicht.« Natürlich bezweifle ich es, dachte Susanne. Eine gute Kriminalistin muss alles in Zweifel ziehen. »Aber könnte es nicht doch sein, dass Sie irgendetwas Ungewöhnliches bemerkt haben? Etwas gehört, vielleicht?«
»Nein«, sagte Krupka schnell, ohne nachzudenken. »Tut mir Leid. Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht weiterhelfen.«
Susanne setzte ihren bohrendsten Blick ein und auf Krupkas Oberlippe bildeten sich feine Schweißperlen. »Warum trennen Sie sich denn eigentlich bei Ihren Wachgängen? Wäre doch sinnvoller, Sie bleiben die ganze Zeit zusammen. Vier Augen sehen mehr als zwei.«
»Also, das machen wir, um ... Zeit zu sparen. Das Gelände der Raffinerie ist ziemlich groß, wissen Sie.«
Susanne war sicher, dass er log. Das augenscheinliche Unbehagen, das diese Lüge ihm bereitete, machte ihn ihr fast sympathisch. Aber warum log er? Verlangte Felten das von ihm? Das war eine mögliche Erklärung für die nervösen Seitenblicke.
»Ich bitte Sie sehr, bei Ihren Ermittlungen Vertraulichkeit zu wahren«, sagte Felten. »Ich möchte vermeiden, dass der Todesfall allzu große Unruhe unter der Belegschaft auslöst. Wir haben ein starkes Interesse an einer raschen Aufklärung, wie Sie sich denken können. Und Medienrummel können wir überhaupt nicht gebrauchen.«
Besonders, wenn es etwas zu vertuschen gibt, dachte Susanne mit professionellem Misstrauen. Andererseits, welches Unternehmen wünschte sich schon diese Art von Publicity? Sie beschloss, erst einmal alle Fakten zu sammeln, sich die Leiche anzuschauen und in Ruhe nachzudenken. Krupka würde sie sich später noch einmal vornehmen, und zwar allein, weit weg von seinem Chef.
Sie trank ihren Kaffee aus und stand auf. »Zunächst vielen Dank«, sagte sie, an Felten gewandt, und gab ihrer Stimme bewusst einen kühlen, distanzierten Klang. »Ich fahre jetzt in die Gerichtsmedizin. Sobald wir neue Erkenntnisse haben, melden wir uns wieder bei Ihnen. Herr Krupka?« Er zuckte beinahe zusammen. »Ich nehme an, Sie möchten sich jetzt ein paar Stunden hinlegen. Kommen Sie heute Nachmittag, wenn Sie ausgeschlafen haben, ins Präsidium. Wir müssen ein Protokoll anfertigen.«
»Aber ich habe Ihrem Kollegen doch schon alles gesagt. Ich ... habe viel zu tun.« Er lockerte sich nervös den Hemdkragen. Susanne konnte sich ein Grinsen kaum verkneifen. Halte deine sadistische Ader im Zaum!, mahnte sie sich. »Sie haben den Toten gefunden. Tut mir Leid. Da kommen wir um ein ausführliches Protokoll nicht herum.«
Krupka warf Felten einen Hilfe suchenden Blick zu, doch der Direktor sagte lediglich in kühlem Tonfall: »Sie haben gehört, was die Frau Hauptkommissarin gesagt hat.« Damit war die Angelegenheit für Felten offensichtlich erledigt. Er erhob sich ebenfalls und streckte ihr die Hand hin. Wieder verspürte sie diesen unglaublichen Magnetismus, der ihr bis hinunter in die Beine fuhr. Sie schluckte, ließ seine Hand so schnell wie möglich wieder los und strebte eilig aus dem Büro.
»He!«
Plötzlich merkte sie, dass sie draußen auf dem Flur in die falsche Richtung abgebogen war. Sie drehte sich um und da standen Torsten und Tönsdorf, die beide ein paar Schritte in die richtige Richtung gegangen waren, und grinsten.
Sie spürte, wie ihre Wangen heiß wurden.
»Kannst dich wohl nicht von ihm trennen?« Es gab Momente, da fand sie Tönsdorfs Scherze kolossal nervend.
»Quatsch!« Mit langen, wütenden Schritten ging sie hinter den beiden her. »Los! Auf
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