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Wendland & Adrian 03 - Nachtauge

Wendland & Adrian 03 - Nachtauge

Titel: Wendland & Adrian 03 - Nachtauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Görden
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einleuchtete. Gewiss, der Chef hatte zu bestimmen und Krupka hatte natürlich gehorcht. Aber würden sie nicht bei der Obduktion ohnehin herausfinden, dass Sempold von einem Raubtier getötet worden war? Andererseits war der Gerichtsmediziner möglicherweise ein Stümper – mit Stümpern hatte man ja heutzutage allerorten zu rechnen – und bemerkte es nicht. Dann würden sie nach einem gemeingefährlichen Irren suchen. Sie würden denken, dass er, Krupka, einen Irren deckte.
    Es war merkwürdig, aber Krupka hatte den Eindruck, als wisse der Chef etwas über diese Raubkatze. Als Krupka ihn in der Nacht angerufen hatte, war die erste Reaktion völliges Schweigen gewesen, dann hatte der Chef leise gefragt: »Eine schwarze Raubkatze, sagen Sie? Das ist ... eigenartig ...« Er schien um Fassung zu ringen, dann hatte er den gewohnten Chefton wieder gefunden: »Erzählen Sie niemandem davon! Ich will, dass niemand von dieser Raubkatze erfährt! Versprechen Sie mir das, Krupka!«
    »Aber, Chef, Sempolds Verletzungen ...«
    »Interessiert mich nicht. Sagen Sie, dass Sie ihn tot gefunden haben. Sie waren nicht dabei, als es passierte! Haben Sie verstanden, Krupka?«
    Krupka stellte das leere Wasserglas langsam zurück auf die Spüle. Vielleicht war ich ja wirklich nicht dabei, dachte er. Das wäre das Angenehmste. Aber das schwarze Vieh war aus der Dunkelheit gesprungen, kein Zweifel. Seine Frau hatte ihm, wenn sie gestritten hatten, bisweilen vorgeworfen, er besitze überhaupt keine Phantasie. Er hatte das immer für eine seiner größten Stärken gehalten. Krupka, der sich stets an die klar erkennbaren Realitäten hielt. Das machte ihn zu einem umsichtigen, keine wichtigen Details übersehenden Sicherheitsfachmann.
    Ich habe die schwarze Raubkatze gesehen, sagte er sich, und wenn ich sie gesehen habe, dann war sie auch da. Dieser Gedanke führte zu einer weiteren, höchst beunruhigenden Überlegung: Wenn die Raubkatze existierte, wo war sie jetzt? Noch auf dem Gelände der Raffinerie? Und woher stammte sie, um alles in der Welt? War sie aus dem Kölner Zoo entwichen? Nein, das hätte mit Sicherheit an diesem Morgen in der Zeitung gestanden oder wäre in den WDR-Radionachrichten gemeldet worden. Er wusste, dass sich auch Privatleute – unverantwortlicherweise – exotische Raubtiere hielten. Ein Zirkus war ebenfalls eine Möglichkeit.
    Was sollte nun geschehen? Bislang hatte Krupka immer geglaubt den Chef gut zu verstehen. Der Erfolg der Raffinerie hatte für den Chef stets höchste Priorität. Damit sicherte er seine eigene Macht und diejenigen, die ihn solidarisch unterstützten und sich seinen Anordnungen fügten, konnten an diesem Erfolg teilhaben. Aller anderen entledigte er sich früher oder später. Er feuerte sie oder sie gingen freiwillig. Nur so konnte man ein Industrieunternehmen führen. Für diese entschlossene Härte genoss der Chef Krupkas uneingeschränkte Bewunderung. Doch die Anweisung, die Raubkatze zu verschweigen, wirkte unvernünftig. Hätten sie der Polizei die Sache mit der Raubkatze berichtet, wäre jetzt längst eine bewaffnete Einsatzhundertschaft damit beschäftigt gewesen, das gesamte Raffineriegelände zu durchkämmen. Unter dem Gesichtspunkt größtmöglicher Sicherheit und um einen reibungslosen Betriebsablauf zu gewährleisten, wäre das die einzig sinnvolle Vorgehensweise gewesen. Trotzdem, Krupka hatte dem Chef sein Wort gegeben, dass er schweigen würde. Und auf Krupkas Wort war Verlass. Nicht einmal seine eigenen Leute konnte er nun anweisen nach der Raubkatze zu suchen. Der bisherigen offiziellen Sprachregelung zufolge, auf die der Chef ihn eingeschworen hatte, war Sempold einem unglücklichen Unfall zum Opfer gefallen. Einem Sturz offenbar. Niemand von der Nachtschicht hatte den Toten zu Gesicht bekommen, sodass sich diese Version zumindest einstweilen aufrechterhalten ließ.
    Krupka legte sich auf die Pritsche im Nebenzimmer seines Büros. Er versuchte etwas zu schlafen, doch nach einer knappen halben Stunde setzte er sich wieder auf. Er würde noch einmal mit dem Chef sprechen. Der Chef war ein hochintelligenter Mann. Vielleicht war er längst selbst zu dem Schluss gelangt, dass die Sache mit der Raubkatze nicht geheim gehalten werden konnte, werden durfte. Er griff zum Handy. Frau Reuter, Feltens Sekretärin, meldete sich. Krupka war nervös und besorgt, bemühte sich aber doch, seine Stimme freundlich klingen zu lassen. Frau Reuter war im Umgang nicht ganz einfach und am meisten

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