Wenn Alkohol zum Problem wird
Abstinenz eine Grundbedingung und deshalb das wichtigste Behandlungsziel. Nur auf dieser Grundlage machen alle weiteren Ziele wie körperliche und psychische Stabilisierung, Zufriedenheit und besseres Leben einen Sinn, ermöglicht die Krankheit Alkoholismus eine Chance!
Die Vorstellung, abstinent leben zu sollen, macht jedoch vielen Betroffenen Angst. Oft ist es weniger der Verzicht auf Alkohol, der schreckt, sondern vielmehr, dass man glaubt, Freunde, Bekannten und Verwandten würden von einem einen zumindest mäßigen Alkoholkonsum erwarten. Insbesondere die Vorstellung, dauerhaft ohne Alkohol zu leben, schreckt viele.Psychologisch ist es oft einfacher, sich zunächst kürzere Zeiten der Abstinenz vorzunehmen. Meist merkt der Betroffene dann, dass es ihm besser geht und er ohne Alkohol leben kann. Auch Selbsthilfegruppen, z. B. die Anonymen Alkoholiker, vermitteln, von Tag zu Tag zu denken.
TIPP
Abstinenz sollte das Ziel sein
Sie können nur dann von den Alkoholfolgekrankheiten gesunden, wenn die Ursache dieser Krankheiten, nämlich der Alkohol, völlig ausgeschaltet bleibt. (Ob sich die Folgeschäden vollständig zurückbilden können, hängt davon ab, wie lange und wie viel Sie getrunken haben.)
Die psychische Abhängigkeit bleibt auch nach jahrelanger Abstinenz noch erhalten, d. h. wenn Sie wieder mit dem Trinken beginnen, kehren Sie voraussichtlich rasch zu Ihrem alten (»automatisierten«) Trinkstil zurück.
Erfahrungsgemäß wissen aber die meisten Menschen im Umfeld eines Alkoholkranken von dessen Krankheit und akzeptieren sofort oder nach kurzer Zeit, dass der Betreffende keinen Alkohol mehr trinkt. Je konsequenter Sie Ihr Abstinenzziel verfolgen, desto eher und leichter respektiert Ihr Umfeld dieses Nicht-mehr-Alkohol-Trinken! Im Übrigen ist auch bei der erwachsenen Bevölkerung die Alkoholabstinenz gar nicht so selten, wie häufig geglaubt. Etwa sieben Prozent der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland leben völlig alkoholabstinent, das sind in Deutschland 4–4,5 Millionen Menschen.
Kontrolliertes Trinken – geht das?
In den letzten Jahrzehnten hat es immer wieder Therapieversuche gegeben, Alkoholabhängigen das kontrollierte Trinken zu vermitteln, aus der Überlegung heraus, dass Alkoholabhängigkeit nur ein erlerntes Fehlverhalten sei, das man auch wieder verlernen könne. Auch in deutschsprachigen Ländern sind entsprechende Therapiemodelle in den letzten Jahren wieder vermehrt angeboten worden, oft ohne dass die Anbieter ihre meist kostenpflichtigen (!) Angebote auch ausreichend klinisch und wissenschaftlich überprüft haben. Mitunter werden solche Programme zum kontrollierten Trinken auch unter anderem Namen angeboten.
Meine Meinung
Kontrolliertes Trinken ist kein realistisches Behandlungsziel
Bei Therapieangeboten zum kontrollierten Trinken ist äußerste Skepsis geboten, insbesondere bei abhängigen Patienten. Meine persönliche, ärztliche Erfahrung dazu ist: Unter vielen 1000 Alkoholabhängigen, die ich im Laufe der Jahre behandelt habe, ist mir kein einziger Fall bekannt, wo der Abhängige über einen längeren Zeitraum ein stabiles, sozial akzeptables »kontrolliertes Trinkmuster« gelernt hätte. Auch die wissenschaftliche Forschung deutet in eine ähnliche Richtung. Die meisten Therapiestudien zum kontrollierten Trinken bei Abhängigen haben verheerende, bestenfalls nicht überzeugende Ergebnisse geliefert.
Auch Befunde aus der Grundlagenforschung und aus Tierexperimenten zeigen, dass eine Rückkehr zu normalem Trinkverhalten nicht möglich ist, jedenfalls ab dem Moment, wenn der »point of no return« (»Kontrollverlust«) überschritten wird. Das Gehirn (»Suchtgedächtnis«) speichert entsprechende Erfahrungen sehr lange, wahrscheinlich sogar dauerhaft (siehe → S. 83 ).
Die meisten Alkoholkranken jedenfalls, die »kontrolliert« zu trinken versuchten, sind alsbald wieder rückfällig geworden. Außerdem ist es bisher völlig unmöglich, vorauszusagen, welche Alkoholkranke später das kontrollierte Trinken schaffen. Die Erfahrungen zeigen immer wieder, dass es für den Suchtkranken viel leichter möglich ist, auf das Mittel ganz zu verzichten, als den Konsum so zu steuern, dass Rückfälle sicher vermieden werden können! Ein einziger Rückfall kann aber bei einem Alkoholkranken unter Umständen wieder alles zerstören, was er in Jahren neu aufgebaut hat. Aus diesen Gründen ist es derzeit in keiner Weise gerechtfertigt, »kontrolliertes Trinken« als Behandlungsziel zu
Weitere Kostenlose Bücher