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Wenn alle anderen schlafen

Wenn alle anderen schlafen

Titel: Wenn alle anderen schlafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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ich an.
    »Vor allem du. Hau ab, bevor du
noch mehr Unheil stiftest. Und du, Neal — geh mit ihr. Bitte.«
    Ich sah Neal an. Er zuckte die
Achseln und ging nach oben, um sich umzuziehen. Ich marschierte durchs
Wohnzimmer, steckte die ,22er in meine Umhängetasche und stapfte zur Tür.
    »Kleine Beruhigungspause«,
sagte Neal, als er zu mir in den Hausflur hinaustrat. »Laß uns irgendwo
hingehen und reden.«
     
    Neal kannte eine kleine
italienische Bar in der Green Street im nahen North Beach, also fuhren wir
dorthin und bestellten Grappa. An den kleinen Tischen saßen nur wenige andere
Gäste, und die Gesichter, die ich im Schein der Chiantiflaschen-Kerzenleuchter
erblickte, wirkten erschöpft. Der Samstagabend lag in den letzten Zügen — in
unserem Fall ein Glück.
    Wir saßen schweigend da, bis
unsere Schnäpse kamen. Dann sagte Neal: »Mann, fühle ich mich beschissen.«
    »Ich auch. Als hätte er uns aus
seinem Leben geschmissen.«
    »Hat er ja vielleicht auch.«
    »Das glaube ich nicht.« Ich
legte ihm die Hand auf den Arm. Dann sagte ich: »Als mir das mit Sandy Coughlin
rausgerutscht ist, hatte ich das Gefühl, du kennst diesen Kerl.«
    »Flüchtig. Wir waren vor
einiger Zeit mal bei einer Dinnerparty, und irgendwer hatte ihn mitgebracht.
Darüber war niemand besonders glücklich, und so wurde es ein kurzer Abend.«
    »Aber Ted hat sich an ihn
erinnert, als er eine Pistole kaufen wollte.«
    »Eine Pistole. Herrgott! Er
kann doch gar nicht schießen.«
    »Allerdings, und seine
Schützenkarriere ist auch schon vorbei. Ich habe die ,22er mitgenommen.«
    »Er kann sich doch eine neue
besorgen.«
    »Das kann er.« Ich trank von
dem starken Schnaps.
    Neal preßte sich eine Hand an
die Stirn, den Ellbogen auf den Tisch gestützt. Sein Gesicht war müde und
zerfurcht, selbst in dem weichen Kerzenlicht. Er wirkte wesentlich älter als
fünfundvierzig. »Shar, was, glaubst du, hat er mit Scylla und Charybdis
gemeint?«
    »Ich denke auch schon die ganze
Zeit drüber nach, aber zur Zeit verstehe ich offenbar gar nichts, was Ted
betrifft.«
    »Ich auch nicht. Und soll ich
dir was sagen? Vielleicht bin ich’s leid, es zu versuchen.«
    »Neal, du bist aufgewühlt und
müde und gekränkt. Triff keine übereilten Entscheidungen.«
    »Nein, es ist mir ernst. Ich
habe meine eigenen Probleme, finanzielle Sorgen im Buchladen. Ich glaube nicht,
daß ich auch noch Teds Probleme verkraften kann — vor allem, wenn er mir nicht
sagt, worin sie bestehen!«
    »Wie du selbst gesagt hast:
Jetzt ist erst mal eine kleine Beruhigungspause fällig. Mein Gästezimmer steht
dir zur Verfügung.«
    »Das nehme ich gern an.« Er
boxte mich leicht auf den Arm. »Danke, Kumpel.«
     
    Erst als ich Neal geholfen
hatte, sich im Gästezimmer häuslich einzurichten, bemerkte ich, daß das
Lämpchen an meinem Anrufbeantworter blinkte. Hy, dachte ich und drückte die
Abspieltaste. Die erste Botschaft war von Ted. In beherrschtem Ton sagte er, er
hoffe, Neal sei bei mir, und ob ich ihm bitte auf den Anrufbeantworter sprechen
könne, daß wir okay seien. Dann könne er besser schlafen.
    Seltsam, dachte ich und drückte
auf Stop. Wieso sollten wir nicht okay sein. Setzte jemand Ted unter Druck,
indem er Drohungen gegen diejenigen äußerte, die ihm nahestanden? War das der
Grund, weshalb er sich uns nicht anvertraute?
    Einen Moment lang erwog ich,
ihn anzurufen und zur Rede zu stellen. Aber er hatte ja angedeutet, daß er
nicht abnehmen würde, und außerdem war ich so müde, daß ich nicht klar denken
konnte. Besser, ich vertagte es auf morgen. Ich wählte seine Nummer, hinterließ
die erbetene Botschaft und setzte hinzu: »Schlaf gut, Alter.« Dann drückte ich
die Abspieltaste, um die zweite Botschaft abzuhören.
    »Sharon, hier Gage Renshaw. Tut
mir leid, daß ich um diese Zeit anrufe, aber kannst du mich bitte im Büro in La
Jolla zurückrufen? Jederzeit, auch spät. Ich bin die ganze Nacht dort.«
    Ich fühlte mich, als hätte
jemand Eiswasser über mich gekippt. Gage Renshaw war einer von Hys
RKI-Partnern. Er hätte mich nie so spät abends angerufen, wenn nicht etwas
Schlimmes passiert wäre. Ich drückte mit zittrigen Fingern die Nummer der
RKI-Zentrale. Die Nachtdienst-Sekretärin erwartete meinen Anruf bereits und
stellte mich sofort durch.
    »Bevor Sie irgendwas sagen«,
erklärte Gage, »lassen Sie mich erst mal voranschicken, daß Hy okay ist.«
    »Was ist los? Wo ist er?«
    »Wir haben eine Geiselnahme bei
einem unserer

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