Wenn alle anderen schlafen
Stille. Rasch ging ich den Gang entlang. Im unteren
Stockwerk brannte nirgendwo Licht, aber ein Spot auf der Terrasse ließ die
zerschossene Glassscheibe glitzern wie fragmentiertes Sternenlicht.
Glassplitter lagen auf dem Teppich, und durch das Loch drang kalte Luft herein.
Ich eilte die Treppe hinauf,
schaute in die Bibliothek. Niemand. Rannte über den Steg zum Schlafzimmer.
Dito. Das Bad? Leer.
Ich ließ den angehaltenen Atem
entweichen und setzte mich aufs Bett. Was hatte ich befürchtet? Daß Ted
ermordet worden war? So kritisch war die Situation ja wohl kaum. Daß er sich
das Leben genommen hatte? Nein, das würde er nicht tun.
Die Sache mit dieser Frau hatte
mich so durchgeschüttelt, daß ich immer vom Schlimmsten ausging. Ich dachte
nicht mehr klar, aber ich mußte gefälligst wieder damit anfangen. Das
Wichtigste war jetzt, Ted zu finden.
Auf dem Gehweg draußen vor dem
Haus traf ich Peter Jackson, einen Freund von Ted und Neal, der in einem
Häuschen fast am Ende der Alley wohnte. Ich fragte ihn, ob er Ted gesehen habe,
und er sagte, ja, er habe ihn so gegen sieben in sein Auto steigen sehen. »Er
wirkte irgendwie angeschlagen — hatte vielleicht getrunken.« Das glaubte ich
nicht; etwas anderes als Alkohol mußte schuld an Teds Verfassung sein. Doch auf
Peters Bemerkung hin fiel mir eine Bar ein, die Ted und Neal manchmal
besuchten. Ich fragte Peter nach dem Namen und der Straße.
Jimbo’s, in der Filbert Street,
Nähe Washington Square.
Die Nacht war nebelwarm, und
die Flügeltür des Jimbo’s stand offen. Ich guckte hinein und musterte die
Gäste. Kein Ted. Trotzdem, er konnte ja da gewesen und wieder gegangen sein;
vielleicht wußte jemand, wo er war.
Also betrat ich das Lokal, das
für Frauen tabu war.
Ein paar Männer in der Nähe der
Tür guckten stirnrunzelnd her. Der Barmann im karierten Holzfällerhemd stellte
ein Glas, das er gerade abgetrocknet hatte, weg und trat auf mich zu. »Sorry,
Ma’am —«
Ich unterbrach ihn, indem ich
ihm meinen Ausweis zeigte. »Ted Smalley arbeitet für mich. Haben Sie ihn
gesehen?«
»Er war heute mal da, gleich
nachdem ich aufgemacht hatte. Wollte wissen, ob ich eine Ahnung hätte, wo sein
Freund, Neal Osborn, steckt. Hatte ich aber nicht. Er hat mich gebeten, die
anderen Stammgäste zu fragen, wenn sie kämen.«
»Wußte es jemand von ihnen?«
»Na-ah. Und Ted hat auch nicht
noch mal angerufen, obwohl er gesagt hat, er würd’s tun.«
»Offenbar sind sie beide
verschwunden, er und Neal. Ich mache mir Sorgen um sie. Können Sie Ihre Gäste
jetzt noch mal fragen?«
»Sie meinen, so eine Art Ansage
machen?«
»Bitte. Ted und Neal könnten in
Schwierigkeiten sein.«
Er zuckte die Achseln und
betätigte eine Glocke, die über der Bar hing. Die Gäste drehten die Köpfe,
manche schauten auf die Uhr. Zu früh für die letzte Bestellung.
»Hört mal her«, sagte der
Barmann. »Die Lady hier sucht Smalley und Osborn. Meint, sie könnten vielleicht
in Schwierigkeiten sein. Weiß irgend jemand, wo sie stecken?«
Schweigen. Dann sagte ein
kahlköpfiger, schnauzbärtiger Typ in einem Cowboyhemd: »Ted hat mich heute
nachmittag bei der Arbeit angerufen und gefragt, ob ich Neal mein
Ferienhäuschen draußen in Inverness überlassen hätte. Hatte ich aber nicht.«
Und ein Ledertyp setzte hinzu:
»Ich glaube, ich habe Ted heute abend gesehen, in seinem Wagen, an der Ampel
Ecke Lombard-Divisadero.«
»Richtung Golden Gate?«
»Ja.«
»Wann?«
»Viertel nach sieben, halb
acht.«
Auf dem Weg aus der Stadt.
Verdammt, warum war ich nicht da gewesen, als er angerufen hatte?
Ich lehnte mich kraftlos gegen
einen Barhocker, und der Barkeeper bemerkte meine Verzweiflung.
»Hey, wollen Sie sich nicht
setzen?« sagte er. »Sie sehen aus, als könnten Sie einen Drink vertragen — geht
aufs Haus.«
Im ersten Moment wollte ich
ablehnen; schließlich hatte ich in diesem Lokal nichts zu suchen. Aber dann
sagte der Ledertyp: »Nehmen Sie’s lieber an, Lady. Er spendiert sonst nie was.«
Ich kletterte auf den Hocker
und konsumierte meinen ersten und letzten Drink im Jimbo’s.
Als ich nach Hause kam, sah ich
eine dunkle Gestalt auf meiner obersten Eingangsstufe sitzen.
»Shar.« Teds Stimme, leise und
deprimiert.
»Wo warst du? Ich bin in der
ganzen Stadt rumgefahren und hab dich gesucht!« Ich rannte die Stufen hinauf
und nahm ihn in die Arme.
Er umschlang mich, und wir
drückten uns einen Moment. Dann machte er sich sanft los und stand auf.
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