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Wenn alle anderen schlafen

Wenn alle anderen schlafen

Titel: Wenn alle anderen schlafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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sofort schlug mir der vertraute Duft von Dark Secrets entgegen.
Der Kleiderschrank war so gut wie leer, aber genau in der Mitte hing ein
einzelnes Kleidungsstück: ein petrolfarbenes Kleid, weich und seidig.
    Und gespenstisch. Hochgradig
gespenstisch.
    Neugierig, was sie mir sonst
noch hinterlassen hatte, ging ich in das letzte Zimmer. Es war groß, mit
himmelblauen Wänden und einer Miniküche am einen Ende, hinter einer Eßtheke. An
Metallschienen unter der Decke saßen etliche Spots. Ich betätigte den
Lichtschalter neben der Tür, und es verschlug mir den Atem.
    Vor mir verteilten sich ein
halbes Dutzend Chrom-Leder-Freischwinger und mindestens neun Chrom-Glas-Tische
im Raum. Und auf jedem Tisch befand sich ein kunstvoll arrangiertes und
ausgeleuchtetes Sortiment von Ausstellungsstücken. Ich ging herum und
betrachtete die einzelnen Objekte.
    Schußwaffen: Revolver,
Selbstladepistolen, Büchsen, Schrotflinten. Das Licht streichelte ihre sorgsam
geölten Oberflächen. Dienstmarken und -abzeichen, alte und aktuelle: von
verschiedenen Sheriff’s Departments, der Polizei, dem Marshals Service, sogar
dem FBI. Sie glänzten und blitzten.
    Eine Uniformmütze des San
Francisco Police Department auf einem Perückenständer.
    Handschellen, Schlagstöcke,
Walkie-talkies und alle möglichen anderen Polizeiparaphernalia.
    Und schließlich ein letztes
Stück, separat postiert und hell angestrahlt: Lee D’Silvas Diplom vom Butte
College, wo sie Polizeiwissenschaft studiert hatte.
    Ich ging weiter zwischen den
Tischen herum, versuchte, dem ganzen einen Sinn abzugewinnen. Bizarr, ja, aber
schon weniger, wenn man die Sammlermentalität berücksichtigte. Ich selbst habe
diesen Trieb nicht; ich versuche immer, alle überflüssigen Habseligkeiten
loszuwerden. Aber Hy sammelt begierig Westernromane und Americana, und ich habe
diese Art von Besessenheit lieben gelernt. Aber das hier war keine normale
Sammlung, das grenzte schon an Monomanie. Nichts in der Wohnung zeugte von
irgendwelchen anderen Leidenschaften oder Interessen —
    Bewegung am anderen Ende des
Raums. Ich fuhr herum, duckte mich, griff nach der .357.
    Niemand. Eine Schiebetür zu
einem kleinen Balkon stand einen Spalt offen. Der Wind hatte gedreht, blies die
Gardinen zur Seite und wirbelte ein Objekt herum, das von der Lichtschiene
überm Fenster herabhing. Es war ein Flugzeugmodell. Ein Schulterdecker, eine
weiße Citabria mit einer blauen Möwensilhouette am Heck. Eine Citabria mit dem
Kennzeichen 77289.
    Ich fühlte einen Protestlaut
meine Kehle emporsteigen, schluckte ihn aber schnell hinunter und studierte das
Modell genauer. Es war Hys Maschine absolut detailgetreu nachgebildet — das
Werk eines Könners und bestimmt nicht billig. Sekunden tickten kontrapunktisch
zu meinem beschleunigten Puls dahin, summierten sich zu Minuten, während ich
das Modell betrachtete. Schließlich ging ich weiter, in die Miniküche. Ein
Korkenzieher und ein einzelnes Glas auf der Arbeitsplatte neben dem
Kühlschrank. Ich öffnete die Kühlschranktür.
    Der gesamte Inhalt bestand in
einer Flasche Deer Hill Chardonnay.
    Alles Angabe: Sie wollte mir
demonstrieren, wie exakt sie voraussah, was ich tun würde. Doch allmählich
kapierte ich, wie sie das anstellte: Sie hatte mich beobachtet, war mir zu
Carver Security gefolgt und hatte gemerkt, daß ich ihr auf der Spur war. Also
war sie aus der Wohnung verschwunden, unter Hinterlassung ihres
Sharon-McCone-Kostüms und dieses Geschenks.
    Ich machte den Kühlschrank zu
und trat in die Mitte des Raums, wo die Akustik vermutlich am besten war. Dann
sagte ich: »Danke für den Wein, Lee, aber ich verzichte. Ich sag’s ja ungern,
aber Sie haben einen großen Fehler gemacht. Welchen, brauche ich ja wohl nicht
zu erklären: Sie wissen ja, wie mein Gehirn arbeitet, oder? Mal sehen, wer von
uns die bessere McCone ist.«
    Die Wohnung war still, aber ich
wußte, irgendwo zeichnete ein Recorder meine Worte auf.
     
    Ich parkte zwei Stunden auf der
gegenüberliegenden Seite der Mariposa Street, ehe sich irgend etwas tat. Zwei
lange Stunden, die ich hauptsächlich mit Telefonieren verbrachte. Auf meine
Anrufe in der RKI-Zentrale in La Jolla reagierten weder Gage Renshaw noch der
dritte Teilhaber, Dan Kessell. Von Hy war auf keinem meiner Anrufbeantworter
eine Botschaft. Als die frühe, regenschwere Dämmerung hereinbrach, begann ich
mich isoliert und deprimiert zu fühlen. In den umliegenden Häusern leuchtete
warmes Licht auf; die Leute strebten eilig

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