Wenn auch nur fuer einen Tag
mehr dahintersteckt. Dass ich ihn belogen habe, ist nicht der einzige Grund, weshalb er sich nicht meldet. Ich muss noch eine andere Wunde in ihm aufgerissen haben. Keine Ahnung, welche …«
»Warum? Wie kommst du darauf?«
»Sein Onkel hat da so eine Andeutung gemacht und außerdem –«
Wieder piepst mein Telefon.
»Oh Mann, ich an deiner Stelle würde langsam zur Polizei gehen. Der Typ hat echt ein Rad locker … Jana …?«
Meine Finger umkrallen das Handy, die Schrift flimmert vor meinen Augen.
Jana, wir können nicht länger zusammen sein. Es liegt nicht an dir. Ich verstehe, warum du mir nicht die Wahrheit gesagt hast. Aber was mich und meine Lügen betrifft, so gibt es keine Entschuldigung. Ich bin nicht der, für den du mich hältst. Besser, ich verschwinde aus deinem Leben. Es tut mir leid! Lukas.
Lukas
Es geht mir nicht unbedingt besser, nachdem ich die SMS an Jana abgeschickt habe, aber wenigstens weiß sie jetzt, dass ich ihr keine Vorwürfe mache. Das war mir am wichtigsten, auch wenn ich ihr keine echte Erklärung geliefert habe, warum ich sie so plötzlich verlasse. Vielleicht hilft ihr das, stinksauer auf mich zu sein und mich irgendwann zu vergessen.
Nicht, dass mich diese Vorstellung besonders aufbaut. Im Gegenteil, sie schnürt mir die Kehle zusammen. Aber das ist immer noch besser, als Jana zu stecken, dass der Typ, in den sie sich verliebt hat, schuld am Tod ihres Bruders ist.
Um mich anzulenken, wähle ich Fabios Nummer. Wenigstens müssen wir jetzt nicht mehr heimlich telefonieren, denn ab jetzt bin ich wieder Matteo Orsini. Der Gedanke fühlt sich eigenartig an. Fremd. Irgendwie habe ich Schiss davor, wieder in mein altes Leben zurückzukehren. Denn als ich es verlassen habe, war es ein einziges Chaos. Und es hat sich bestimmt nicht von selbst aufgeräumt, nur weil ich für ein paar Monate tschüss gesagt habe.
Das Freizeichen ertönt, aber Fabio nimmt nicht ab. Irgendwann schaltet sich seine Mailbox ein. Ich hole Luft und lasse meinen Text ab.
» Ciao, fratellino! Du weißt sicher schon, was Sache ist. Tja, es ist überstanden. Morgen komme ich heim, also … Ich freu mich auf dich, Mann. Und auf Rom. Scheiße, wenn da bloß nicht Jana wäre. Ich konnte ihr einfach nicht sagen, was … Ach, egal, vergiss es. Wir sehen uns! A dopo, bis dann!«
Ich lege auf. Die anschließende Stille in meinem Zimmer ist fast nicht auszuhalten. Ich schalte den Fernseher ein.
Beck meinte, er kümmert sich um den organisatorischen Kram. Alles, was ich zu tun habe, ist, die Sachen zusammenzupacken, die ich mit nach Rom nehmen will. Ich sehe mich ratlos um. Plötzlich fällt mein Blick auf das Superman-T-Shirt, das zerknüllt in einer Ecke liegt. Ich hebe es auf, betrachte es einen Moment lang und stecke es dann in meine Sporttasche. Anschließend hebe ich die Kohlezeichnungen hoch, die ich Jana zum Geburtstag geschenkt habe. Sie liegen noch immer neben meinem Bett. Es war ein Wahnsinnsgefühl, wieder zu zeichnen. Die ganze Nacht hindurch habe ich den Stift übers Papier gejagt. Und plötzlich wusste ich, was ich im nächsten Semester studieren wollte. Architektur. Allein die Vorstellung versetzte mich in ein absolutes Hochgefühl. Denn der Unterschied zu früher war: Jetzt wollte ich es aus freien Stücken.
Allerdings frage ich mich, ob ich noch immer Bock darauf habe, wenn mir mein Vater wieder im Nacken sitzt. Oder ob er gar nichts mehr von mir verlangt, wenn ich heimkomme. Weil Fabio inzwischen meinen Platz eingenommen hat. Und weil er Papas Erwartungen mit Bravour erfüllt.
Ich werfe die Skizzen auf meinen Tisch, auf dem auch der Stapel Werbung liegt. Um mich irgendwie zu beschäftigen, blättere ich lustlos die Supermarktangebote, Urlaubskataloge und Baumarktwerbungen durch. Plötzlich fällt ein Briefkuvert aus einer der Broschüren. Kein Absender, keine Briefmarke.
Ich öffne ihn. Er ist von Jana. Alles in mir verkrampft sich, als ich ihre verzweifelten Worte lese. Dieses Mädchen war mein Lottogewinn, Beck hat recht. Aber ich darf ihn nicht behalten. Ich habe mit falschem Einsatz gespielt.
Ich kontrolliere die restlichen Prospekte und tatsächlich finde ich noch einen weiteren Briefumschlag. Auch dieser ist ohne Absender und unfrankiert. Ich zögere, weil ich weiß, dass mich Janas Worte nur noch mehr fertigmachen werden. Aber dann reißen ihn meine Finger doch auf. Die wenigen Zeilen sind dieses Mal in akkurater Blockschrift gehalten.
He, du mieser Schmarotzer! Vielleicht glaubst
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