Wenn auch nur fuer einen Tag
Frau gesehen. Sie hat ein Loch im Strumpf und der Zeh guckt raus.« Ihr Zwillingsbruder stimmt in ihr Gegluckse ein. »Der ist ganz schön dick!«, fügt er prustend hinzu. »Aber der Rest von der Frau auch.«
Ich muss mich zusammenreißen, damit ich ernst bleibe und nicht auch loslache. »Psst«, mache ich. »Man spricht nicht so laut über andere und schon gar nicht macht man sich über sie lustig. So, und jetzt kommt mit und helft mir beim Aussuchen. Wir brauchen noch vier T-Shirts und zwei Hosen, am besten mit Gummizug.«
Das dunkel gelockte Zwillingspärchen folgt mir brav zu den Regalen mit Stapeln von Kinder-T-Shirts. Frau Schröder, die Leiterin der Tagesstätte Simsalabim , hat mir vorhin, nachdem sich zwei Jungs im Über-Pfützen-Springen verschätzt haben, Geld in die Hand gedrückt und mich gebeten, einen Vorrat an einfachen Spielklamotten zu besorgen, weil sich die kleinen Racker manchmal dermaßen einsauen, dass man sie so unmöglich wieder an die Eltern übergeben kann. Da Vanessa und Massimo schon mit ihren Hausaufgaben fertig waren, durften sie mich begleiten.
Die quirligen Zwillinge mit den großen dunklen Kulleraugen sind mir besonders ans Herz gewachsen. Als ich letzten Herbst angefangen habe, im Simsalabim auszuhelfen, waren ihre Eltern gerade aus Italien nach Deutschland gezogen und sie beherrschten kaum unsere Sprache. Frau Schröder bat mich deshalb, mich bei den Hausaufgaben vor allem um die beiden zu kümmern. In den vergangenen acht Wochen, die ich nicht in Hamburg war, haben sie unglaublich viel aufgesaugt und mittlerweile können sie alle Worte, die für Siebenjährige wichtig sind, auch die, die ich ihnen nicht beigebracht habe, wie zum Beispiel Kacknase , Schleimdoofi, Schlumpfenhirn oder rattenscharf .
»Boah, das da ist rattenscharf«, stellt Massimo fest und hält ein Superman-T-Shirt hoch. »Kannst du das kaufen? Bitte, bitte, ich will Superman sein.«
Ich inspiziere das Preisschild. Zwei Euro. »Na gut«, seufze ich, »wirf es zu den anderen Sachen in den Korb. Aber du weißt schon, dass du noch ein ganzes Stück wachsen musst, damit du da hineinpasst?«
Ich will mich gerade erneut den Regalen zuwenden, da erkenne ich aus den Augenwinkeln Lukas Richter, Tamaras neuen Freund – oder besser gesagt, ihren Hoffnungsfunken für einen Karrieresprung, sofern man Noah wenigstens in diesem Punkt glauben darf.
Ich bin echt erstaunt, ihn hier zu sehen, und frage mich, was einer wie er im Secondhandladen macht. Wenn jetzt auch noch Tamara hereingestöckelt kommt, überlege ich, dann fängt definitiv ein neues Zeitalter an. Aber Lukas scheint allein zu sein. Er lässt seinen Blick konzentriert über die Regale mit Herrenklamotten schweifen, befühlt dann und wann ein Teil, hält es sich prüfend an und – zuckt wie ertappt zusammen, als er mich sieht.
»Ach … ciao .« Er wirkt verdutzt. Wieder dieses eigentümliche, überraschte Aufflackern in seinen Augen. »Jana, oder?«
Ich nicke und bin erstaunt, dass er sich überhaupt noch an meinen Namen erinnert, aber dann fällt mir mit einem Schlag die blöde Wette zwischen Noah und Lars wieder ein. Wahrscheinlich ist Lukas längst in die Geschichte eingeweiht und weiß, dass ich die dumme Auserwählte bin, die es herumzukriegen gilt. Allein bei dieser Vorstellung spüre ich Groll in mir aufsteigen. Ich wende mich von Lukas ab und marschiere in eine andere Regalreihe, von wo aus ich ihn nicht mehr sehen kann. Hektisch nehme ich ein Shirt nach dem anderen in die Hand, nur um es auseinander- und dann wieder zusammenzufalten und zurückzulegen.
»Die haben wir doch schon alle angeguckt«, meint Vanessa vorwurfsvoll, »die waren uns zu hässlich, weißt du nicht mehr?«
»Ach so, ja … stimmt«, stammle ich, »dann gehen wir jetzt eben zur Kasse und bezahlen!«
»Aber du wolltest doch noch viel mehr kaufen«, wendet Massimo ein. »Was ist denn mit den Hosen?«
»Nach denen schauen wir ein anderes Mal«, sage ich genervt, »wenn wir etwas mehr Zeit haben und – ups!« Lukas und ich krachen am Ende des Regals zusammen und ich ramme ihm meinen gefüllten Einkaufskorb in den Bauch.
»Sorry«, murmele ich. »Ich hatte nicht mit Gegenverkehr gerechnet.«
Lukas hebt seine beiden Shirts auf, die bei unserem Zusammenprall auf den Boden gefallen sind, reibt sich den Bauch und lächelt. »Nichts passiert«, sagt er. »Obwohl du die Rechts-vor-links-Regel schon etwas ernster nehmen solltest.«
Wir schauen uns einen Moment lang an, ohne uns von
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