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Wenn auch nur fuer einen Tag

Wenn auch nur fuer einen Tag

Titel: Wenn auch nur fuer einen Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Moser
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habe, was mit meinem Bruder geschehen ist, weiß ich nicht. Mir wollte einfach nicht über die Lippen kommen, dass er tot ist. Vielleicht, weil ich nicht noch mehr mitleidige Worte und Blicke ertragen kann. Wie soll ich auch jemals darüber hinwegkommen, wenn ich immer wieder von Neuem damit anfange? Die Menschen verhalten sich auf Anhieb komisch, wenn sie erfahren, was bei mir los war, und sind von einem Moment auf den anderen vorsichtig und zurückhaltend. Heute Nachmittag habe ich einen Augenblick zu lange gezögert und plötzlich war es dann zu spät für die Wahrheit. Ich habe angefangen, über Flo zu sprechen, als wäre er noch am Leben, und auf einmal hatte ich gar nicht mehr das Gefühl zu lügen. Ich habe mich einfach nur gut gefühlt, trotz des Friseurunfalls. Alles war so herrlich normal. Es war der schönste Nachmittag seit Langem.
    Ich krame mein Handy hervor und klicke das Bild an, das ich von Lukas gemacht habe. Ich muss bei seinem zerknirschten Ausdruck sofort wieder loslachen. Ob sich Tamara auch so weggeschmissen hätte wie ich? Ich kann es mir kaum vorstellen. Sie lässt sich wahrscheinlich nie so gehen, aus Angst, ihr Lachen könnte Falten verursachen und ihr Make-up verhunzen. Ich finde, die beiden passen gar nicht zusammen. Aber was weiß ich schon? Ich kenne Lukas kaum. Und vielleicht hat er ja noch ganz andere Seiten an sich, als die, die ich bisher erlebt habe.
    Nachdem ich Lukas’ Bild bestimmt fünf Minuten lang angestarrt habe, lege ich mein Handy entschlossen beiseite. Es war ein netter Nachmittag und weiter nichts. Ich sollte mir nichts einreden. Lukas und ich mussten uns heute beim Friseur miteinander unterhalten, weil es total peinlich gewesen wäre zu schweigen. Aber in dieser blöden Clique hängt er freiwillig ab und gehört damit eindeutig zu Tamaras Dunstkreis. Das darf ich nicht einfach ignorieren, nur weil ich mir insgeheim wünsche, es wäre anders.
    Ich kuschle mich unter meine Decke und nehme mir vor, keinen weiteren Gedanken mehr an Lukas Richter zu verschwenden, denn vermutlich werden wir uns sowieso nicht mehr so schnell über den Weg laufen. Es war schon Zufall genug, dass wir uns zweimal hintereinander begegnet sind. Wenn er mir doch nicht jedes Mal so intensiv in die Augen blicken würde. Und sein Lächeln …
    Irgendwann muss ich wohl eingedöst sein, denn ich schrecke erst wieder hoch, als am nächsten Morgen mein Handywecker klingelt. Benommen schalte ich ihn aus und in diesem Moment fällt mir ein, dass ich am Vorabend ganz vergessen habe, Flos letzte SMS zu lesen. Zum ersten Mal seit seinem Tod.

Lukas
    Ich konnte mich ewig nicht entschließen, ob ich überhaupt zu Noahs Party gehen soll, denn nach unserem letzten Treffen im Le Marché hatte ich eigentlich die Schnauze voll von ihm und dem Rest der Clique. Aber dann habe ich mich doch dazu entschieden. Es wäre mir armselig vorgekommen, an einem Samstagabend allein zu Hause zu hocken, während woanders eine coole Party steigt. Außerdem hätte ich dann nur wieder gegrübelt und mich allein besoffen.
    Jetzt stehe ich mitten in Noahs edlem Loft und blicke mich voller Neid um. Die Wohnung liegt in der Speicherstadt, hat bestimmt an die hundertzwanzig Quadratmeter und eine gigantische Dachterrasse mit Blick aufs Wasser. Zierliche Asiatinnen mit Stäbchen in den Haaren und einem Lächeln, das wie aufgemalt wirkt, servieren Sushi und an einer langen Bar mixen zwei heiße Blondinen mit Riesenmöpsen alle nur erdenklichen Cocktails.
    »He, alles klar, Kumpel?« Noah klopft mir freundschaftlich auf die Schulter, als er mich sieht.
    »Ja, Mann, coole Wohnung«, antworte ich. »Und nette Deko«, füge ich mit einem Nicken in Richtung der Bardamen hinzu.
    Noah lacht. »Ja, man tut, was man kann. Amüsier dich gut. Tamara hat eben eine SMS geschickt, sie wird wohl auch noch aufkreuzen, also …« Er schnalzt anzüglich mit der Zunge, dann verschwindet er im Getümmel.
    Ich hole mir bei einer der blonden Zwillingssexbomben einen Drink und suche nach bekannten Gesichtern, aber bis auf Lars, Simon und Tamaras Freundinnen kenne ich niemanden – noch nicht einmal vom Sehen her.
    Als ich ein Stück weit entfernt ein zierliches Mädchen mit blondem Pferdeschwanz erspähe, denke ich kurz, es wäre Jana, aber schon im nächsten Augenblick weiß ich, dass ich mich geirrt habe. Das Blond ist einen Tick zu hell und die Klamotten zu tussig. Außerdem lacht dieses Mädchen viel zu laut und gekünstelt.
    Ich schätze mal, sie kommt

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