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Wenn das der Führer wüßte

Wenn das der Führer wüßte

Titel: Wenn das der Führer wüßte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Otto Basil
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nun wie ausgekehrt. Sie fuhren trotzdem langsam; Heydrich hatte Vollverdunkelung, was in groteskem Gegensatz zur Himmelsillumination der „Bergentrückung“ stand. Von den Türmen der drei Heydricher Kirchen wummerten und wimmerten die Glocken, und ihre Klänge vermischten sich mit den Glockentönen, die von den Lautsprechermasten herab dröhnten. In dem immer schwächer werdenden Dröhnen hörten sie von Zeit zu Zeit ein verdächtiges Geräusch – trockenes Geknatter. Alles war irgendwie unwirklich. Höllriegl schien es, als glitte er in der Rinne eines Toboggans pfeilschnell abwärts.
    Senkpiehl, angestrengt nach vorn spähend, erzählte weiter: „Die SS – mit herbeigepfiffener Verstärkung – begann wie irrwitzig in die Menge zu feuern, die sich zuerst dicht um den Führerpanzer geschart hatte. Es entstand ein regelrechtes Gefecht, denn die Angegriffenen, hauptsächlich harte, kampferprobte SA-Männer, aber auch HJ, zogen gleichfalls ihre Pistolen und schossen, hinter Autos und Krädern verschanzt, auf die Angreifer, die keinen andern Schutz hatten als die Dunkelheit. Sie müssen wissen, Höllriegl, daß da jahrzehntelang aufgestauter Haß mit im Spiel war – die Eifersucht der SA auf die Privilegien der SS . Plebejer gegen die Elite. Es soll recht unhübsche Szenen gegeben haben. Man hat mir erzählt, daß verletzten SS -Leuten die Gurgel durchgeschnitten oder mit den Stiefeln der Schädel eingedroschen wurde – alles im Zeichen der Wehrkameradschaft! Daß niemand Laser hatte, war ein glücklicher Zufall, sonst wären – auf beiden Seiten – die Verluste um vieles höher gewesen. Schließlich machte die Wehrmacht mit zwei Löschzügen dem Spuk ein Ende – zuerst hatte sie tatenlos aus Hubschraubern zugesehen. Sie trieb die Gegner unter Einsatz von Wasserspeiern und etwas Nervengas auseinander und wusch zugleich die Straße rein, damit der Führer, ohne blutige Spuren zu hinterlassen, zu seiner Walhalla gefahren werden konnte. Die Straße frei den braunen Bataillonen, hahaha! Wissen Sie, daß Deutschland spätestens seit heute nachmittag zwei neue Schlagworte besitzt? … ‚Bundschuh erwache, Werwolf verrecke!’ und ‚Werwolf erwache, Bundschuh verrecke!’ … Da werden die gelben Teufel sich aber freuen!“
    Und Senkpiehl lachte wieder gellend und stieg stärker aufs Gas; sie hatten nun die Ausfallstraße nach Nordwesten erreicht. Seltsam, hier standen die Straßenschilder verkehrt, der Weiser Kesselring-Hildesheim-Hannover zeigte in Richtung Eisleben. Das Tak-tak-tak war jetzt besser zu hören, in der Ferne verwummerten die Glocken. Plötzlich nestelte sich Senkpiehl das Parteiabzeichen aus dem Knopfloch und warf es zum Fenster hinaus.
    Im Wagen war ein Stapo-Empfangsgerät eingebaut, das unaufhörlich piepste und knirschte, ein vernünftiges Wort war aus ihm nicht herauszukriegen. An der Kreuzung Ritter-von-Epp-Straße und Guderian-Allee krachten auf einmal von allen Seiten Schüsse, gleichzeitig schien es, als würde eine Handvoll Erbsen gegen das Wagendach geschleudert. Instinktiv waren die beiden von den Sitzen gerutscht, Senkpiehl bremste jäh und riß das Fahrzeug herum. Im selben Augenblick spürte Höllriegl einen schneidend kalten Hauch an seiner linken Schläfe. Die Windschutzscheibe war geborsten und ebenso das Heckfenster. Der Wagen torkelte noch ein paar Meter, dann prallte er mit sanftem Bums gegen eine hohe Rohziegelmauer. Schüsse kreisten sie ein, schienen von oben und von allen Seiten zu kommen, das Geknatter ging in wütende Feuerstöße über … vollautomatisches Feuer. Von der Wand stoben Splitter, ein unsichtbarer Finger zeichnete Linien der Zerstörung ins Mauerwerk.
    Sie krochen langsam heraus. Höllriegl hatte das Gewehr, Senkpiehl die Maschinenpistole an sich genommen; sie sprachen kein Wort. Es war ziemlich dunkel, nur über der Kyffhäusergegend war der Himmel hell. Dann und wann spurte eine Leuchtrakete hoch und goß eine Traube bläulichen Lichts über das Firmament.
    Höllriegl tastete sich kriechend und flach wie eine Wanze die Mauer entlang. Seine Augen gewöhnten sich rasch ans Dunkel, nicht umsonst hatte er Katzenaugen. Er näherte sich einem Gehäuse, es war eine jener primitiven blechernen Pißanstalten für Männer, wie man sie noch manchmal in Provinzorten antrifft. Er kroch darauf zu – eine gute Deckung. In dem Häuschen, das unten offen war, stank es nach Öl und Urin, trotzdem fühlte er sich wohl, weil halbwegs geborgen. Senkpiehl – leise rief er

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