Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wenn das der Führer wüßte

Wenn das der Führer wüßte

Titel: Wenn das der Führer wüßte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Otto Basil
Vom Netzwerk:
Anlasser betätigte. Er ließ den Motor warmlaufen und legte den Gang ein. Seine Mappe? Die war mit den Pendeln oben liegen geblieben; nur den Mantel hatte er aufgerafft. Würde Ulla reden?
     
    Seine Erinnerung an die Heimfahrt war lückenhaft. Er wußte später nur, daß er, vor Wut, Scham oder Wehleidigkeit schluchzend (niemand hätte ihn so sehen dürfen!), ein Kampflied aus illegalen HJ-Tagen in ewiger Wiederholung vor sich hingelallt hatte. „Auf, auf, zum Kampf sind wir geboren – Auf, auf, zum Kampf fürs Vaterland – Dem Adolf Hitler haben wirs geschworen – Dem Adolf Hitler reichen wir die Hand.“ Gedankenlos ließ er sich von dem verlegen feixenden Burjak den Mantel abnehmen und die Stiefel ausziehen. Da nun sowieso alles wurscht war, bemühte er sich erst gar nicht, vor der Hundeseele von einem Leibeigenen den Herrenmenschen zu spielen. Er war todmüde, zermürbt, innerlich zerfetzt. Würde Ulla reden, würde Ulla reden, würde Ulla reden?
    Er trat ans Fenster, wie es seine Gewohnheit war, und sah hinaus, ohne irgend etwas wahrzunehmen. Die Stirn brannte höllisch. Plötzlich erschien auf dem Hausdach drüben die gewohnte Leuchtschrift, und das brachte ihn wieder in die Wirklichkeit zurück. „DIE PARTEI DENKT FÜR DICH“ las er, und dieses Schlagwort, zugleich allbekanntes Pausenzeichen des Langen Lulatsch, des Funkturmsenders der Reichshauptstadt, erfüllte ihn mit Genugtuung und Trost.
    Burjak kam mit zwei Briefen, ein Bote vom Parteihaus hatte sie eingeworfen. Der Untermensch sah dabei so auffällig an Höllriegls mißhandelter Stirn vorbei, daß es peinlich war. Kurierpost. Der eine Umschlag enthielt den für die Fahrt nach Berlin bestimmten Marschbefehl, mit der Auflage, sich bei Ostuf Hirnchristl, Tiergartenstraße vier, zur weiteren Dienstverwendung zu melden. Die übliche Erlaubnis zum Passieren der „kleinen“ Sperrzonen B und D war eingetragen. (Blöde Formsache das!) Als Reisetag hatte man den Sonntag datiert; es konnte Anstände geben, wenn er erst am Montag fuhr. Der Quartierschein war mit einer Woche befristet, die Einweisung lautete auf eine Pension Zweenemann, Uhland-Eck. – Dem zweiten Kuvert, die Adresse war handgeschrieben, entnahm er einen Privatbrief. Steifes Papier in Heliotrop, süßlich duftend. Überlange Buchstaben, Kurrent- und Lateinschrift gemischt. In Berlin datiert. „Lieber Pg. Höllriegl! Ich höre zufällig – fragen Sie nicht, von wem –, daß Sie sich hier aufhalten sollen. Versäumen Sie bitte nicht, FREIßlerhorst 82-57 anzuläuten, am besten morgens bis acht. Oder GNEIsenau 69-11, Klappe 272, bis 17 Uhr. Möchte Sie sehen. Mit Deutschem Gruß! Anselma Geldens, geb. von Eycke. PS.: Ich hoffe, Sie werden nicht wieder aufs falsche Pferd setzen!“
    Es war Herrn von Eyckes „exotische“ Schwester. Der Brief verwirrte ihn. War das „falsche Pferd“ politisch oder privatim zu verstehen? Jedenfalls ein Wink mit dem Zaunpfahl. Bezog sich die Bemerkung auf Ulla? Der Ton war etwas anzüglich.
    Die irgendwie nur mit halbem Bewußtsein verlebten Abendstunden des Katastrophentages, sie dehnten sich ins Endlose, waren damit ausgefüllt, daß Höllriegl, dösig am Diwan liegend, Löcher in die Luft stierte. Er hatte nach innerem Kampf einige jener Beruhigungspillen geschluckt, die, obwohl offiziell streng verpönt, unter der Bevölkerung massenhaft verbreitet waren. Oder er setzte sich ans Pianino, um wie einst in der Linzer Zeit wild drauflos zu phantasieren, in seiner romantischen Art mit viel Pedal und virtuosen Läufen, wobei ihm Tränen in den Augen standen. Zwischendurch machte er sich Kompressen; im Zimmer roch es nach essigsaurer Tonerde. Von Zeit zu Zeit drang dumpfer Trommelwirbel zu ihm. Kam das von der Straße oder durch die Wände? Der Striemen war blutrot, das Auge geschwollen und schwärzlich verfärbt. Die Umschläge mußten morgen pausenlos fortgesetzt werden, wollte er am Montag halbwegs passabel aussehen. Würde Ulla reden?
    Wieder Trommelschlag, und jetzt gleich darauf das Röhren der Luren, langgezogen, schrecklich, als sei das Weltende da, die Ragnarökr, die große Verfinsterung der Götter. Was war das? Das war mehr als eine Sonderbotschaft an die Nation, wie er nun endlich begriff. Sein Herzschlag setzte aus, er hatte das Gefühl von Nackensteife, der Druck im Hinterkopf wurde unerträglich, der Zimmerboden schwankte unter seinen Füßen, bäumte sich vor ihm auf. Er hatte den Drang, zu erbrechen.
    Sofort schaltete er das Fernsehgerät

Weitere Kostenlose Bücher