Wenn das der Führer wüßte
wichtigen Kreuzungen Bereitschaftskommandos des NSKK den Verkehr überwachten.
Höllriegl war die halbe Nacht gefahren, er fuhr gern bei Nacht. Er war in die stillen, einsamen Rasthäuser an der nächtlichen Autobahn verliebt, mit ihren verschlafenen Kellnerinnen (die er, er wußte nicht recht warum, „verwunschene Prinzessinnen“ getauft hatte) und dem warmen Kaffeedunst. Man traf dort um diese Zeit nur die Fahrer von Fernlastern und das Kontrollpersonal der Sperrzonen, wortkarges, verdrossenes Volk. Diesmal – er war zweimal stehengeblieben – hatte überall beklommenes Schweigen geherrscht; jeder schien mit seinen Gedanken beschäftigt zu sein. In der Nähe von Eichmannstadt, das Rasthaus hatte die Gestalt einer Windmühle und war urgemütlich eingerichtet, schien ihn die Kellnerin, eine fahle, flachsblonde Ziege mit roten Lidrändern und einem Basedow, von der Theke aus mit aufdringlichen Blicken zu verfolgen. Manchmal unterbrach sie ihre Strickarbeit und sah verstohlen auf seine Stirn. (Das Kainszeichen!) Er war der einzige Gast in der Stube. Als er austreten ging, machte sie sich in dem engen Gang zu schaffen und drückte sich an ihm vorbei – eine stumme Szene –, so daß man, ob man wollte oder nicht, ihre Magerkeit, aber auch den auffallend großen, schwammigen Busen spüren mußte. Während er in dem Abort sein Geschäftchen verrichtete, war es ihm, als lausche sie an der Tür. Es war jedoch Täuschung, die verwunschene Prinzessin saß wieder vor der Espressomaschine und glotzte in ihre Handarbeit. Beim Weggehen grüßte er wie immer mit seinem schlampigen „Heitla“. Das Mädchen strich die Münzen zusammen und murmelte wie geistesabwesend „Gutn Tach“.
Er spürte keine Müdigkeit, das Nachtfahren war er gewohnt; außerdem hatte er infolge der Beruhigungsmittel den halben Sonntag verdöst, nur ein wenig für den „Kyffhäuser-Boten“ vorgearbeitet und Anfragen erledigt. Das Haus in der Tiergartenstraße wollte er sich schnell ansehen, ehe er zur Pension am Uhland-Eck fuhr, für die er die Einweisung hatte.
Der abgebrochene Turm der Gedächtniskirche, auch er ein Siegesmal nach der großen Brandnacht, ragte in einen Himmel ohne Ende und ohne Details. Es wurde so düster, daß die Autos ihre Nebelscheinwerfer leuchten ließen. Zähflüssiger Verkehr trug Höllriegls Wagen über den Landwehrkanal, dessen Wasser sich rußschwarz und ölig unter der Brücke durchschob. Am Ende der Graf-Spee-Straße tauchten im Nebel die ersten Bäume des Tiergartens auf. Höllriegl fuhr an einem geschlossenen, mit Hoheitszeichen und schwarzem Tuch dekorierten Kino vorbei, in dem man noch am Sonnabend den Karl-May-Film „Im Reiche des silbernen Löwen“ gespielt hatte. Ein fast körperlicher Schmerz durchzuckte ihn. Wie jedes Schulkind wußte, hatte der Führer gerade dieses Buch sehr geliebt.
Glücklich, daß er doch Trauer empfinden konnte, bog er um die Ecke und war nun in der Tiergartenstraße, wo der Verkehr sich etwas lockerer anließ. Im ganzen Tiergartenviertel durften allein die Wagen von Hoheitsträgern parken, und auch dies nur mit streng kontrollierter Sondererlaubnis. Der Marschbefehl, den er schon mehrmals hatte vorweisen müssen, würde wohl genügen.
Tiergartenstraße vier. Ein riesiger Kasten, achtstöckig, mit auffällig erneuerter Fassade, betont schlicht, andeutungsweise monumentalisiert. Bräunlicher Anstrich, also Amts-Charakter. Eine einzige umflorte Flagge auf halbmast: die der Raumschiffahrt des NSFK.
Sein geübter Blick glitt rasch die Hauswand entlang. Das mächtige, von dorischen Säulen flankierte Portal, das wie ein Tempeltor aussah, war geschlossen. Keine Wache sichtbar. Hinter den meisten Fenstern brannte Neonlicht dem Tag die Augen aus. Auf der andern Straßenseite war ein Untermenschen-Einsatztrupp damit beschäftigt, in einer Parklichtung ein Transparent aufzurichten, das den Führer in Rednerpose darstellte.
Höllriegl stieg aus dem Wagen, um die Schilder am Eingang besser lesen zu können. Deutsche Denkmaschinen K. G. (daneben das Zahnrad der DAF mit den obligaten 100%) – Hauptamt für Leibesübungen, Gau Groß-Berlin – Keough & Sons, Pearl Cultivators and Exporteurs, Hongkong/Kobe – Beschlußstelle in Rechtsangelegenheiten des Reichsbundes Deutscher Christen e. V. – Ing. Leodegar Schwemmle, Maschinelle Erdbewegung – Der Amtsleiter des Naturschutzgebietes Schorfheide – Schlesische Zellwolle Aktiengesellschaft – Kohlmorgen & Hassebrauk, Großhandel mit
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