Wenn das der Führer wüßte
ein; es war genau 22 Uhr. Auf dem Bildschirm erschien der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, sein Bild sah verzerrt aus, die Grenzen zwischen den Helligkeitsstufen waren unnatürlich konturiert. Hohlwangig, übernächtig, den schmalen, wie gemeißelten Kopf etwas gesenkt, eine ungeheure Konzentration und Willensanspannung in den Zügen – er schien Höllriegl und jedermann tief ins Herz zu sehen –, sprach er mit trauertiefer Stimme nur den einen Satz:
„Deutsches Volk! Der Führer ist in die ewige Walhall eingegangen.“
Das Bild verschwand wie ein Phantom. Und wieder Trommeln und der Ruf der Luren. Dann hörte man eine Stimme sagen: „Uuanta sâr sô sih diu sêla – in den sind arheuit – enti si den lihhamun – likkan lâzzit – sô quimit ein heri – fona hinilzungalon – – – – diê pringent sia sâr – ûf in himilô rîhhi – darî ist lîp âno tôd – lioht âno finstrî – selida âno sorgûn – – –“
Höllriegl lag auf den Knien, in der Stille hörte er sein Herz hämmern.
Der Erzjud
des dritten Reiches
„Very likely these Martians will make pets of some of them; train them to do tricks – who knows? – get sentimental over the pet boy who grew up and had to be killed. And some, maybe, they will train to hunt us.“
„No“, I cried, „that’s impossible! No human being –“
„What’s the good of going on with such lies?“ said the artilleryman. „There’s men who’d do it cheerful. What nonsense to pretend there isn’t!“
H. G. Wells, The War of the Worlds
Den ganzen Sonntag hatte es wie aus Kannen geschüttet, und jetzt – Montag mittag – nieselte es. So trostlos und verhangen war es noch nie gewesen. Das Elementarereignis, gewaltig wie keines in der Geschichte des Abendlandes, hatte den Erdkreis erschüttert. Eine Lähmung, fremdartig und lauernd, wie es Höllriegl erschien, war über die Welt gekommen. Zugleich mochte diese Erstarrung alleräußerste Angespanntheit sein. Noch wagte niemand die Frage, was nun geschehen würde – sie schwebte aber auf allen Lippen. Einer von Höllriegls Nachbarn in Heydrich, ein gewisser Doktor Senkpiehl, seines Zeichens Nervenarzt, war am Fernsprecher – Höllriegl hatte nicht einen Schritt vor die Tür getan – deutlicher geworden; er sprach von katatonischen Zuständen, spastischer Lähmung, Stupor und dergleichen. Also spürten es auch die anderen, nur erklärte sichs jeder auf seine Weise. „Irgendwas liegt in der Luft“, hatte der Mann gesagt, und es war nicht klar, ob er die undurchsichtige Lage im Fernen Osten meinte.
Trotz allem konnte Höllriegl, sosehr es ihn auch ärgerte, ja kränkte, keine richtige Trauer empfinden. Und doch gelüstete es ihn nach Schmerz. Er hatte den Führer bis zuletzt abgöttisch geliebt – nicht anders als einst, da er, ein junger, namenloser illegaler Kämpfer der Ostmark, gegen das Regime von Juden, Freimaurern und Pfäfflingen angetreten war. Doch Adolf Hitler war nicht mehr, Odin hatte seinen Meldegänger zum großen Rapport nach Walhall gerufen. Weiter wollte, weiter konnte Höllriegl nicht denken. Und sonderbar: in all diesen weltentscheidenden Stunden empfand er so etwas wie eine kleine Erleichterung. Nun würde nämlich die Bernsteinhexe bestimmt nicht reden. Das große Geschehen, das jedem Volksgenossen ans Herz griff, das die führende Macht der Welt in tiefste Trauer versetzte, würde den kleinen, häßlichen Vorfall vergessen lassen.
Die Nässe ging einem durch Mark und Bein. Höllriegl haßte die fade Wärme im Wagen, weshalb er die Heizung nicht eingeschaltet hatte. Nur schrittweise kam er durch die elektronisch gesteuerten Straßensperren rund um den Zoo. Die Reichshauptstadt ertrank in schwarzem Tuch. Aus Fenstern und Löchern hingen vom Wind zu Stricken gedrehte, klatschnasse Trauerfahnen. (Sämtliche Dienststellen von Partei und Wehrmacht in allen Teilen der Welt hatten den Befehl „Heißt Flagge!“ erhalten.) Schwarzer Flor umhüllte die Standarten und auf halbmast gehißten Reichsflaggen und Sturmbanner. Alles sah fetzig aus, keineswegs würdevoll, es war von gespenstiger Lustigkeit. Die Fahnen schaukelten wie Gehenkte auf ihren Stangen und Stöcken. Viele Passanten trugen dunkle Kleidung, man sah auch tiefverschleierte Frauen. Bei dem Wetter gab es nur wenig Leute in den Straßen, dafür aber um so mehr Autos. Sonst war nichts Besonderes zu merken, außer, daß die Schupos zu zweit patrouillierten und an allen
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