Wenn das der Führer wüßte
eine Fengin. Von ihrem Körper mit dem geschwellten kleinen Busen gingen warme Wellen aus. Seine Nerven vibrierten unter diesem Ansturm.
Das Gespräch wandte sich wieder harmloseren Dingen zu. Frau Geldens arbeitete im Auswärtigen Amt, in der Wirtschaftspolitischen Abteilung. Sie war im Referat für das Reichsschutzgebiet Insulinde angestellt, das bekanntlich gefährdetster Boden war, weil eine Enklave in dem von den Japsen kontrollierten Teil der Welt. Anselmas Kenntnis von Land und Leuten machte sie zu einer gesuchten Kraft; sie sprach außer Holländisch noch fließend Malayisch, auch ein wenig Chinesisch, Japanisch und Pidgin-Englisch. Nahe der Wilhelmstraße, wo ihr Büro lag, bewohnte sie im obersten Stockwerk eines wieder aufgebauten Hauses eine sehr elegante, anscheinend geräumige Dreizimmerwohnung mit Dachterrasse – sie zeigte Aufnahmen –, etwas bizarr eingerichtet, mit Exotik garniert. Sie hauste dort mit ihrem leibeigenen chinesischen Koch, den sie seinerzeit aus der Südsee mitgebracht hatte.
Höllriegl versuchte immer wieder, sich in die intime Sphäre zurückzutasten; vor allem wollte er dahinterkommen, ob sie in der Reichshauptstadt irgendwelche „Beziehungen“ unterhielt. Anselma antwortete zuerst ausweichend oder ironisch, dann ließ sie durchblicken, daß sie einflußreiche Gönner und Freunde habe. So kannte sie einen Neffen des ehemaligen Reichssportführers von Tschammer und Osten, der in der Reichsfilmprüfungsstelle einen leitenden Posten innehatte; sie sprach von ihrer Freundschaft – ein dehnbarer Begriff – zu einem Generalleutnant Hansjoachim von Geyl-Aufseser, zur Zeit Abteilungsleiter GIF beim OKH, im Range eines Generalinspekteurs, der den Führernachwuchs des Heeres betreute; sie ließ auch den Namen Bonhoeffer fallen – das bedeutete Wirtschaftsführung; schließlich erwähnte sie, daß sie einen Zugang zur Präsidialkanzlei des Führers hatte. Mehr wollte Höllriegl nicht wissen. Er erstarb vor Ehrfurcht.
Ein einziges Mal berührten sie flüchtig das Todesproblem. Anselma glaubte, im Gegensatz zu Höllriegl, nicht an ein Fortbestehen nach dem Tode, auch nicht an ein Weiterleben der Seele des Führers. Der Mensch käme aus dem Nichts und müsse wieder dorthin zurück. (Höllriegl wunderte sich im geheimen über Anselmas Mut, solche von der offiziellen Lehre stark abweichende Ideen so offen vor einem Halbfremden auszusprechen; die extremen Rassisten, Werwölflinge, NATMAT-Anhänger und so weiter, leugneten allerdings gleichfalls ein Fortleben nach dem Tode.) Für Anselma war jetzt das deutsche Volk in seiner Gesamtheit dazu berufen, Träger der „Führerseele“ zu werden, das Herrenvolk würde gewissermaßen zum „mystischen Leib“ Adolphi Hitler. Mehr sagte sie nicht darüber – vielleicht war es ein Zugeständnis an Höllriegls romantische Art. Dieser kehrte nämlich noch allzugern in die hehre Vorwelt der Äsen und Wanen heim, glaubte natürlich nicht mehr an deren metaphysische Existenz, immerhin aber an die Ideen, die sie verkörperten. So glaubte er an den heiligen Samen der Askr Yggdrasill, aus dem das Ewige Deutsche Volk erblüht war. Doch dieses konventionelle Glaubensschema, in allen Schulen gelehrt, konnte Anselmas spöttischem Blick nicht standhalten.
Als hätten sie sich verabredet, wurde über den Tod des Führers kein Wort mehr verloren; das war gut. Heilige Scheu, vielleicht war es Vorsicht, hielt sie davor zurück. Auch die Frage der Nachfolge, der Folgen überhaupt, ließ man besser aus dem Spiel. Anselma erwähnte nur ein Gerücht, das sich in Parteikreisen der Reichshauptstadt eingenistet hatte, wonach der Führer auf dem Sterbebett sein politisches Vermächtnis auf Band gesprochen habe, das Tonband aber verschwunden sei; es war mehr als wahrscheinlich, daß der „Waldteufel“ das Testament an sich genommen hatte. Vor dem „Waldteufel“, so genannt nach dem im Krieg gegen die Titos von ihm aufgezogenen historischen „Unternehmen Waldteufel“ der Ustascha und deren „Hiwis“ – Hilfswilligen –, zitterten alle ohne Ausnahme. Dieser Deutschkroate, dessen richtigen Namen niemand kannte, hatte es verstanden, seine doppelte Schlüsselstellung in der Partei zu einer uneinnehmbaren Festung auszubauen. Er war Stabsleiter im Amt des – übrigens unter ungeklärten Umständen – verstorbenen Martin Bormann gewesen. Nach dessen Tod (oder Verschwinden) übernahm er das verwaiste Amt, wobei er Bormanns Chefadjutanten kaltstellte; gleichzeitig
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