Wenn das der Führer wüßte
ernannte ihn der Führer zum Chef der Reichskanzlei, obwohl Ivo Köpfler – dies sein politischer Tarnname – alles andere eher als Berufsdiplomat war. Köpfler, Reichsorganisationsleiter der NSDAP, Chef der Reichskanzlei und Reichsminister ohne Geschäftsbereich, war nach Adolf Hitler der mächtigste Mann im Staat. Keiner hatte so wie er das Ohr des Führers besessen.
Und noch etwas erzählte Frau Geldens, etwas ziemlich Schlimmes. Unmittelbar nachdem Hitlers Tod weltweit ruchbar geworden war, kam es in den Vereinigten Gefolgschaften von Amerika (United Vassal States of America), und zwar hauptsächlich in den „Apemen Reservations“ (AMR) und „Apemen Camps“ (AMC) des Südens, zu blutigen Unruhen. Wie die Untermenschen in den Besitz der Nachricht kommen konnten, war ein Rätsel, denn seit der Machtergreifung durch den Dreierrat des K-K-K und der Wiederherstellung des Sklavereistatuts, wie es vor der berüchtigten „Emancipation Proclamation“ bestanden hatte, waren die schon von Haus aus rigorosen Absperrungsmaßnahmen bis zum äußersten verschärft worden. An zwei Punkten – Anselma entfaltete einen Zettel mit Notizen –, in Neosho, Missouri, und Wickliffe, Kentucky, war es sogar zu offenen Revolten gekommen. Politische Verbrecher und farbige Äfflinge hatten die Lagermannschaft niedergemacht und – fast nicht zu glauben! – ein Depot von Laser-Waffen erbrochen. In Wickliffe sei ein ehemaliger Negerpfarrer der Rädelsführer gewesen. „Den Halunken haben die Minutemen geschnappt, verkehrt an einen Baumast gehängt und langsam geröstet. Der Bursche soll dabei Psalmen, jüdische natürlich, geplärrt haben.“ Diese an sich belanglosen Vorgänge habe man im Rundfunk und in den Zeitungen verschwiegen. Nur in der internen Parteiberichterstattung, die ihr fallweise zugänglich sei, habe man auf die Vorkommnisse hingewiesen.
„Apropos: rösten“, sagte sie lächelnd. „Im Ertüchtigungskurs für Fortgeschrittene, den ich zur Zeit besuche, übrigens aus rein taktischen Gründen, ist unlängst eine glänzende Filmstaffel eingesetzt worden, die Sie sehen müßten. Neues Schulungsmaterial, lauter Amateurfilme. Besonders einer hat mir imponiert. Es wurde da die Enthauptung renitenter Untermenschen nach der Handbeilmethode gezeigt, in allen Phasen und in Nahaufnahme. Eine ‚händische’ Hinrichtung also, wie man sie bekanntlich nur noch zu Abschreckungszwecken vornimmt. Bei einem stiernackigen bulgarischen Häftling, der ein deutschblütiges Mädchen mit Liebesanträgen verfolgt hatte, wollte der Kopf absolut nicht herunter. Der Henker, sichtlich einer von diesen dienstverpflichteten Justizidioten, mußte dreimal zuhacken, ehe der Kerl starb. Dann ein anderes Filmchen: Strafvollzug an weiblichem Material auf dem Scheiterhaufen. Diesmal war auch Ton dabei. Ein Knüller! Die Schreie hätten Sie hören sollen, als die Füße zu brutzeln begannen. Es ist unglaublich, wie wehleidig die Leute sind!“
Anselmas Augen glitzerten, sie war sozusagen ganz Auge. „Mit ‚wehleidig’ meine ich die Damen aus meinem Ressort. Zuerst drängen sie sich dazu, dann machen sie schlapp. Der einen wurde totenübel, sie kotzte Lumpen und machte sich während der Vorstellung an. Eine andere verdrehte die Augen, als habe sie die Fallsucht, führte auf noch und noch – obwohl sie schon den Sonderkurs hinter sich hatte. Alles Hysterie natürlich, es fehlt denen nichts als …“
Wieder fixierte sie ihn träg und lauernd. Höllriegl senkte nicht die Augen, doch es strengte an. Es war wie eine lange geheime Berührung. „Was werden die erst sagen, wenn die nächste Staffel drankommt. Verhöre und das ‚Abspritzen’ von Renitenten. Zeitlupenaufnahmen und Erdrosselungen mit der Drahtschlinge am Fleischerhaken, die Arbeit mit der Garrotte, oder – vielleicht das Schönste! – unsere Experimente in den geschlossenen Abteilungen, LSD-25 und so.“
Mit solchem oder ähnlichem Geplauder schlugen sie die Zeit tot. Höllriegl spürte genußvoll, wie sie einander näherkamen, sich in Gedanken betasteten. Anselma war alles andere als sein Typ, sein Herz lechzte nach nordischen Lichtgestalten, nach heldischen Frauenwesen mit starken Gesäßen (jäh dachte er an Ulla – wie weh das tat!), aber Anselmas Charme, eine Mischung von tropischer Gehirnlichkeit und jener neuen schneidig-sachlichen Art, die er so sehr bewunderte, weil er sie sich nicht zu eigen machen konnte („bin zu altmodisch“), hatte es ihm nach diesem Mittagessen
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